Hamburg. Zum Auftakt seiner Hamburg-Trilogie ist der Panikrocker stimmlich wieder voll da. Und seine Bühnenshow ist atemberaubend.
Udo Lindenberg. Helene Fischer. Ja, lassen Sie das mal auf sich wirken. Helene Fischer. Udo Lindenberg. Die Frau, die als Mädchen aus Russlands Osten kam, die singen kann, tanzen und turnen, alles in Perfektion. Der Mann, der zu einem Mädchen in Ostberlin kam, der nicht ganz so gut singen und tanzen kann und sich öfters mit seinem Mikrofonkabel verheddert, alles in Panikcolor. Um 2008 herum haben sich beide angeschickt, die großen deutschen Stadion-Popstars unserer Gegenwart zu werden und in der Hamburger Barclaycard Arena für die schillerndsten Konzertspektakel zu sorgen. Obwohl sie unterschiedlicher nicht sein könnten.
Das Abendblatt-Magazin über Udo Lindenberg
Fünf Abende legte Helene im September 2017 in Hamburg hin, Udo folgt ihr jetzt mit drei Auftritten. 36.000 „El Panicos“ und Elli Pyrellis, Johnny Controlettis und Candy Janes kommen insgesamt zu den Audienzen mit dem „König von Scheißegalien“. Nach dem Aufbau der Bühne und der technischen Bereiche sind sogar noch ein paar Karten für Freitag und Sonnabend (ab 93 bis 106 Euro) zusätzlich in den Verkauf gekommen.
Udo-Doubletten purzeln aus der Flugzeugtür
Die „größte Revue aller Zeiten“ hatte Udo uns im Gespräch vor wenigen Wochen versprochen, und er hat nur ein wenig übertrieben. Zum Auftakt der drei Hamburg-Termine am Donnerstag donnern fünf Raketentriebwerke auf der 250 Quadratmeter großen Videoleinwand, Pyroflammen zünden, Böller knallen und Rauch wabert, ein Jumbojet („Panik 1“) landet, und das Panikorchester gibt einen aus mit „Woddy Woddy Wodka.“
Udo-Doubletten purzeln aus der Flugzeugtür, und es folgt mit der Landefähre: der Panikpräsident. Nicht nur 12.000 Augenpaare konzentrieren sich, sondern auch 24.000 Ohren: Hat die Nachtigall ihre Stimme zurück? Kann die „Honky Tonky Show“ steigen? „Seit sieben Wochen rollt unsere Show, so ’ne Tournee macht einen reichlich k. o.“, singt Udo.
Lindenbergs Hamburg-Auftakt in Bildern:
Udo Lindenberg singt mit Maria Furtwängler
Alles wieder gut in der "Bacardi Arena"
Vor zwei Tagen in München fing er sich bei seiner Joggingrunde im Englischen Garten einen Infekt ein (nackt im FKK-Bereich gejoggt, oder was?), der Jodelitos Stimme böse mitspielte. „Jetzt habt ihr zwei Konzerte in einem: Joe Cocker und Udo Lindenberg“, krächzte Udo in der Olympiahalle, hielt aber die 32 Songs in 150 Minuten durch. Einer muss den Job ja machen. Eierlikör gurgeln, und dann geht es schon. Bei „Mein Ding“ und dem Duett „Du knallst in mein Leben“ mit Deine Cousine versteht man ihn in Hamburg so mittel, aber das liegt an der Arena-Akustik. Udo ist voll da. „Alles wieder gut“, beruhigt er die „Bacardi Arena“.
Putin und Trump hauen sich die Jacke voll
Udo Lindenberg. Helene Fischer. Das heißt in beiden Fällen auffahren, was geht. Tänzerinnen, Hebebühnen, Laser und Licht, an Seilen schwebende Artisten, tolle Videoeinspieler. Wenn Udo in den Frieden zieht, werden die Trucks bis unter die Decke der Fahrerschlafkabine vollgestopft. Eigentlich unterscheidet sich das Geschehen auf der Bühne wenig von einer der Aftershow-Partys der Panikfamily: Nonnen und Priester sündigen, Cellistinnen fliegen unter der Hallendecke, Putin und Trump hauen sich im Boxring die Jacke voll, ein Schlauchboot mit einem Konfetti werfenden Gorilla zuckelt durch die Halle, es gibt Eierlikör und Likörelle, Aufblaspuppen, rosa Flamingos und grüne Socken.
Schön streng chaotisch durchchoreografiert
Ein Kinderchor fragt „Wozu sind Kriege da?“ und „Lady Whiskey“ droht – lockt? – mit großen Bourbon-Buddeln. Und das war nur ein kurzer Auszug aus Udos Packliste, wo auch noch diverse Anzüge und Zigarren draufstehen. Mit zugestiegen sind außerdem Johannes Oerding, der mit Udo „Cello“ singt, sowie „MTV Unplugged“-Gast Maria Furtwängler für „Bist du vom KGB ...?“.
Gut was los, sehr gut! Man braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass die Honky Tonky Show exakt durchgeplant und durchchoreografiert ist. Die Kunst ist, das Ganze trotzdem so wirken zu lassen wie einst im Onkel Pö: schön streng chaotisch. Dafür steht, tanzt, twistet und schaukelt Udo.
Eine Hommage an "Fridays for Future"
Sein in diesem modernen Showeffekt-Aufgebot anachronistisch wirkendes Mikrofonkabel ist seine Telefonschnur in die Vergangenheit, zu den Klassikern wie „Hinterm Horizont“, „Sonderzug nach Pankow“, „Alles klar auf der Andrea Doria“ und „Reeperbahn“. Aber auch mit 73 Jahren ist er immer noch „Stärker als die Zeit“, und seine nächtlichen Kontrollfahrten, bei denen er Spelunken, Clubs, Lagerhäuser, Galerien oder Joggingstrecken auscheckt, enden nicht vor der Haustür des Atlantiks.
Für „Fridays for Future“ und gegen verpestete Himmel und versaute Flüsse macht er sich in „Ratten“ ebenso stark wie seit vielen Jahren für eine „Bunte Republik Deutschland“. Diese „Odyssee“ durch fünf Jahrzehnte Lindismus ist wunderbar anzuschauen. Aber die auf das Nötigste reduzierte Tour-Generalprobe im Mai in Timmendorf hat gezeigt, dass Udo und sein Panikorchester auch ohne das Revue-Drumherum, Funken- und Feuerzauber nichts von ihrer Faszination, ihrer Dynamik und einer berührenden Herzlichkeit verlieren. Er macht das Spektakel, weil er es kann. Er könnte aber ohne. Helene Fischer auch? Interessante Vorstellung.