Hamburg. Der australische Musiker stellt sich auf der aktuellen Tour den Fragen des Publikums. In Hamburg war dies mitunter eine Pein.

Den Terror des Auf-die Bühne-Gehens, so nennt Nick Cave die Grundbedrohung, die er in seinem Job antrifft. Mit den Bad Seeds, seiner legendären Band seit dreieinhalb Jahrzehnten – die Formation hat sich x-fach geändert – hat er in all den Jahren aber eine gewisse Routine entwickelt, Selbstbewusstsein sowieso. Cave, der Rock’n’Roll-Prediger, hat eine Präsenz wie nur wenige Musiker. Seine Nebenleute standen ihm dabei eigentlich nie nach: Im Rahmen ihrer Möglichkeiten als Sidekicks und coole Fahrensmänner des heiligen Nick.

Nick Cave berichtete den Zuhörern in der Friedrich-Ebert-Halle von ebenjenem Terror, der Heimsuchung von Bühnenmenschen. Und zwar aus alleraktuellstem Anlass, denn der Terror, wie Cave erklärte, , „der Terror ist zurück“.

Nick Cave geht neuerdings ohne die Bad Seeds auf die Bühne, jene dunkle, vibrierende Macht, deren Lautstärke jeden Zweifel wegzudrücken imstande ist. Dass auf der Bühne der Ebert-Halle, wo sich im Gestühl von Parkett und Rang eine knapp 1000-köpfige Cave-Gemeinde versammelte, ein Flügel stand und um ihn herum auch ein paar Fans saßen, war aber nur ein Teil der Wahrheit. Den anderen verriet der Titel der gegenwärtigen Tournee – „Conversations with Nick Cave – An Evening of Talk and Music“.

Nick Cave im Dialog mit seinen Hamburger Fans

Die Tour ist die Fortsetzung von Caves Dialog mit seinen Fans. „The Red Hand Files“ heißt der Blog, in dem der große Dichter, der Wortsetzer, Romancier und Erzähler Nick Cave mit den Fans kommuniziert.

Es geht um seine Musik, um die Band, den Zeitgeist, aber auch, und das immer wieder, persönliche Belange: das Leben an sich und die Schatten, die sich über dieses legen.

Und das jetzt live? Ohne die Möglichkeit des Ausschlusses, der Komposition und des sprachlichem Ausfeilens? Vor allem aber ohne die räumliche Entfernung zum Publikum? Er werde sich immer, wenn es „schrecklich“ werde, einfach an das Klavier setzen, sagte der wie immer elegant gekleidete Musiker. Was er dann tat; einmal spielte er, sicher eine Übersprungshandlung, drei Stücke hintereinander. So gesehen musste man den seltsam distanzlosen Fragestellern in Hamburg fast dankbar sein.

"Waghalsige Experimente" in der Friedrich-Ebert-Halle

Aber was heißt „seltsam“. „Freiwillige Abenteuer der Intimität“ nannte Cave im Blog seine Direktkontakt-Offensive mit seinen Bewunderern, „waghalsige Experimente“. Und so wurden in der Ebert-Halle dann eben nicht nur Fragen nach den Mechanismen der Kreativität, nach Blixa Bargeld, dem langjährigen Weggefährten, nach musikalischen Vorlieben und künstlerischen Plänen gestellt. Das wäre eh langweilig gewesen, klar. Nick Cave, bei dem beinah jeder Song ein existenzialistisches Endspiel ist, muss man, wenn man ihn schon mal so eng am Wickel hat, über Angst vor Verlust und Tod fragen, über seine Beziehung zu Gott und dem Christentum.

Das geschah. Cave, der nach eigener Aussage, überhaupt keine Interviews mehr geben will und mithilfe von Blog und Auftritten wie diesem sein öffentliches Image selbst formen will, sprach offenherzig und flüssig. Er verdichtete die schlichte Halle mit seinen Worten in ein Kraftzentrum der Menschlichkeit. Es sind nicht die Lieder, es ist die persönliche Geschichte dieses Mannes, die ihn zum Inspirator aller sensiblen Gemüter macht.

Sie fragten ihn, wie man Traumata überwinde (Caves Antwort, sinngemäß: einfach weiterleben). Sie sprachen ihn bereits mit der allerersten Frage auf den Tod seines Sohnes an, der 2015 nach der Einnahme von LSD tödlich verunglückte. Später erklärte Cave, dass Blog und Tournee eine Folge des Zuspruchs seien, die er und seine Frau nach dem Schicksalsschlag von so vielen Fans bekommen hätten. „Das hat uns damals unglaublich geholfen, es hat uns gerettet“, sagte Cave, der mehrmals auf den Tod seines Sohnes zu sprechen kam. Jeder Mensch werde die Erfahrung des Verlusts machen, sagte Cave weiter. Und was banal hätte klingen können, bekam durch den immer ergreifenden Bariton des Meisters eine weise Letztgültigkeit.

Nick Cave als selbstironischer Gespärchspartner

Aber Cave war auch an diesem Abend eben kein reiner Fürst der Finsternis. Im Gegenteil, er war, wenn er nicht gerade Klavier-minimalistische, eindringliche Versionen von „Higgs Boson Blues“, „Jubilee Street“, „And No More Shall We Part“ oder „West Country Girl“ spielte, ein selbstironischer, nicht selten komischer Gesprächspartner, der die, um auf die erwähnte Distanzlosigkeit zurückzukommen, sentimentalen Eskapaden seines Publikums souverän managte. Manche, einmal selbst ganz im Banne des Bühnen-„Terrors“ stehend, fanden mit einem Male Gefallen am Rampenlicht – wann hat man schon mal die Gelegenheit, mit seinem Idol zu sprechen? Andere forderten erfolgreich eine Umarmung ein.

Und einer machte seiner Begleiterin gar einen Heiratsantrag. Es war viel Liebe mit im Spiel, und die Liebe der Fans ist doch das, wonach Künstler streben. Aber ein bisschen peinvoll war es eben auch, für die Mit-Anwesenden und nicht zuletzt Nick Cave selbst.