Hamburg. Der Londoner und seine anspruchsvolle Musik wären wohl woanders besser aufgehoben gewesen.

Die fünf Streicher haben auf der Bühne der Fabrik ihre Plätze eingenommen. Dann ertönt die Stimme von Benjamin Clementine. Doch wo steht er? Der Sänger aus London ist aus dem Backstage-Bereich gekommen, hat sich unter die Zuschauer gemischt und betritt die nicht allzu hohe Bühne von vorn.

Mit seinen aufgetürmten Haaren und im weißen, kaftanähnlichen Gewand ist er für alle Zuhörer in der gut gefüllten Fabrik nicht nur zu hören, sondern auch zu sehen. Nach diesem ungewöhnlichen Intro und einer kurzen Begrüßung setzt sich der hochgewachsene Künstler ans Klavier und beginnt das Konzert mit „Wins­ton Churchill’s Boy“, einer Erinnerung an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und an die Verheißung eines großen Staatsmannes, den sich Großbritannien zurzeit womöglich wünscht.

Benjamin Clementine singt kraftvoll und politisch

Schon mit der nächsten Nummer ist Benjamin Clementine in der Gegenwart angekommen. „God Save The Jungle“ beschreibt das Flüchtlingslager im französischen Calais, von dem aus vor allem afrikanische Flüchtlinge versuchen, über den Ärmelkanal an die englische Küste zu gelangen.

Clementine singt diese Lieder mit einer kraftvollen Stimme, die vom Falsett bis zum Bariton reicht. Das Publikum ist (noch) mucksmäuschenstill, Bier wird an den Theken im Flüsterton oder per Handzeichen bestellt. Konzentriert verfolgt das Auditorium die für Streichquintett neu arrangierten Stücke des britischen Sängers und Poeten.

Ein Londoner Musiker, in Paris entdeckt

Diese Arrangements passen perfekt zu Clementines oft politischen Epen. Die drei Violinen und zwei Celli sowie das Klavier schaffen einen akustischen Rahmen, der seine Stimme in den Mittelpunkt stellt und ihm viel Raum für seine gesungenen Erzählungen und die Interaktion mit dem Publikum gibt. Der Künstler wurde nicht in seiner Heimatstadt London, sondern auf den Straßen von Paris entdeckt. Mit herkömmlicher Popmusik oder mit dem typischen Soul amerikanischer Prägung haben seine Songs wenig zu tun.

Zwar verehrt Clementine eine Kollegin wie Nina Simone, die Struktur seiner Kompositionen steht aber weniger in der Tradition des Blues als vielmehr in der des zeitgenössischen Kunstliedes. Nummern wie „Nemesis“ oder „Phantom Of Aleppoville“ sind so etwas wie avantgardistische Chansons.

Clementine und die Sprachbarriere: "St. Pauli? What's St. Pauli?"

Während der 90 Minuten sucht Benjamin Clementine immer wieder den Kontakt zu seinen Zuhörern. Bei „Condolence“ singt das ganze Auditorium als vielhundertköpfiger Chor mit und überrascht mit klarem Klang, bei „Corner­stone“ erinnert Clementine sich, dass er schon mal an der Reeperbahn aufgetreten ist und fragt nach Hamburgs berühmter Meile. Mit den Antworten auf Deutsch kann er jedoch wenig anfangen. „St. Pauli? What’s St. Pauli?“

Durchaus ungehalten reagiert er, als ein Zuhörer in eine Generalpause bei „The People And I“ ein „Yeah“ hineinbrüllt, das die dramatische Spannung, die Clementine aufbaut, zerstört. „Too much beer?“, fragt er und möchte den Schuldigen ausfindig machen. Was natürlich nicht gelingt.

Das Konzert hätte besser in die Laeiszhalle oder Elbphilharmonie gepasst

In diesem Moment zeigt sich dann doch, dass die Fabrik mit ihren vielen Stehplätzen nicht der ideale Ort für diesen Sänger und sein Streichquintett ist. In Dortmund ist der erst 30 Jahre alte Clementine im Konzerthaus und in Frankfurt in der Alten Oper aufgetreten.

In Hamburg gibt es mit Elbphilharmonie und Laeiszhalle Orte, an denen dieses ambitionierte und künstlerische Programm besser gepasst hätte, leider standen beide Konzerträume nicht zur Verfügung.