Hamburg. Das neue Hajusom-Stück „Azimut dekolonial – Ein Archiv performt“ hat Schwächen und findet keine schlüssige ästhetische Lösung.

Michael Böhler und Markus Lohmann haben für die Gruppe Hajusom ein beeindruckendes Bühnenbild gebaut: Ein mehrstöckiges Labyrinth erstreckt sich bei dem Stück „Azimut dekolonial – Ein Archiv performt“ in einer Kampnagel-Halle. Im Erdgeschoss: ein Schokoladenpool, in dem ein Paar süßer Dekadenz frönt. Erster Stock: Kammern, Bühnen, Zwischenräume. Ganz oben: ein Schacht, der zurück in die Tiefe führt, und am Boden wühlt einer im Erdreich, sucht seinen Ururgroßvater, seine Vergangenheit. „Was war früher los? Wie hast du die Kolonialzeit überlebt?“ „Azimut“ stammt ab vom arabischen „as-samt“, was soviel wie „der Weg“ bedeutet. In der Astronomie steht Azimut im Kontext der Navigation: „Das Azimut ist die Peilung, die den richtigen Weg bestimmt“, heißt es in „Azimut dekolonial“. „Wir peilen die Zukunft neu an.“ Doch die Peilung der Zukunft fällt schwer, wenn die Vergangenheit verschwimmt.

Seit 20 Jahren arbeiten die Regisseurinnen Ella Huck und Dorothea Reinicke unter dem Hajusom-Label mit Migranten und Flüchtlingen. Migration aber ist überwölbt von einer verdrängten kolonialen Geschichte, die Navigation in dieser Erinnerung ist ein hilfloses Schürfen in Bedeutungsebenen. Wie bei dem jungen Mann im Schacht.

Das Publikum durchwandert die Installation

Das Publikum durchwandert also die Installation und wird so Teil des Schürfens. Manchmal fokussiert das Geschehen auf eine zentrale Bühnensituation, dann zersplittert es in einzelne Stationen, selten erlebt man gar eine Eins-zu-eins-Performance, was mal Schärfe entwickelt, sich aber auch mal im Kreis dreht. Wie so viele Hajusom-Abende irritiert auch „Azimut dekolonial“ lange mit einer gewissen Ziellosigkeit, bis dann plötzlich der Knoten platzt – hier scheint das in einer ohrenbetäubenden Industrialperformance zu passieren, in der die Elektrosounds von Hauskomponist Viktor Marek mit energetischem Getrommel auf das Stahlrohrskelett der Bühne gedoppelt werden.

Nur dass der Abend anders als frühere Produktionen wie das beim Festival „Theater der Welt“ gefeierte „Silmandé“ nicht zu einer schlüssigen ästhetischen Lösung findet. Immer wieder stürzt der dramaturgische Aufbau in sich zusammen, wiederholen sich einzelne Passagen leicht modifiziert. Um nach knapp zweieinhalb Stunden unvermittelt ein Ende zu finden. Postkolonialismus ist ein Prozess, der lange noch nicht abgeschlossen ist – als theatrale Installation ist das konsequent, aber letztlich nicht unbedingt befriedigend umgesetzt.