Hamburg. Der britische Komponist dirigierte im Kleinen Saal der Elbphilharmonie eine konzertante Aufführung seiner Oper „Into the Little Hill“.
„Musik an sich ist nebensächlich“ sagt der Minister – und liegt damit nicht zum ersten Mal furchtbar weit daneben. Denn es ist ja gerade die Kraft der Musik, mit der ein mysteriöser Spielmann erst die Ratten aus der Stadt lockt und später alle Kinder verschwinden lässt, als der besagte Minister ihn übers Ohr hauen will: in der 2006 entstandenen Kammeroper „Into the Little Hill“ von George Benjamin, nach der mittelalterlichen Sage vom Rattenfänger von Hameln. Benjamin selbst dirigierte im Kleinen Saal der Elbphilharmonie eine konzertante Aufführung des Stücks, das die Besucher mit eisigen Krallen packte. So geschickt der Librettist Martin Crimp verschiedene Bedeutungsschichten und zeitlose Themen aufschimmern lässt – die kalte Grausamkeit gegenüber dem Fremden, eine scheinheilige Gesellschaftsmoral und skrupellosen Machterhalt –, so virtuos vertont George Benjamin die Story und nutzt damit selbst die magische Macht der Musik.
Wenn er die verlassenen Betten der Kinder im dunklen Rhythmus von Kontrabass, Cello und Bassklarinette wiegen lässt, wenn die Mandoline das leere Klimpern des Geldes andeutet oder die Flöte zum Auszug treibt. Die Mitglieder des Ensemble Modern offenbaren den Farbreichtum der Partitur mit gleißender Präsenz und Präzision, als instrumentale Partner von zwei phänomenalen Solistinnen. George Benjamin hat den Vokalpart auf zwei Sängerinnen verteilt, sie sind Erzähler und handelnde Figuren in Personalunion.
Anu Komsi war der abschließende Höhepunkt
Die Altistin Helena Rasker switcht gekonnt zwischen warm strömendem Legato und nüchternem Sprechgesang, die Sopranistin Anu Komsi beeindruckt mit krassen Intervallsprüngen, bombensicherer Höhe und kehlbrecherischen Koloraturen. Dass ihre Partie manchmal vielleicht noch eine Prise bedrohlicher Süße vertragen hätte, ändert nichts an der Intensität der rund 40-minütigen Darbietung. Sie war der abschließende Höhepunkt eines Konzerts unter Benjamins Leitung, das schon in der ersten Hälfte – dort noch ohne Sängerinnen – den Ausnahmerang des Ensemble Modern und ein faszinierend breites Spektrum demonstrierte.
Mit Cathy Milikens „Bright Ring“, das Klangflächen ineinander schiebt und zum Flirren bringt, mit Luigi Dallapiccolas atmosphärischer, von Celesta, Harfe, Streichertremoli und Holzbläserlinien gezeichneter Nachtmusik von 1954, und mit „Layers of Love“ von Christian Mason aus dem Jahr 2015. Indem Mason gehaltene Klänge von Instrumenten wie Tuba, Posaune, Horn und Bass in schmerzliche Halbtonreibungen führt und später zu einem bizarren Marsch verdichtet, beweist der britische Komponist bereits ein ähnlichen Farbsinn wie sein Lehrer George Benjamin. Die Sinnlichkeit des Klangs erschließt uns Dimensionen des Ausdrucks und Regionen des menschlichen Fühlens, in die wir mit Sprache und Wörtern allein niemals vordringen könnten. Musik an sich ist alles andere als nebensächlich.