Hamburg. Saxofonist Branford Marsalis und sein Quartett schenkten dem Publikum in der ausverkauften Elbphilharmonie einen furiosen Abend.
Zwei Zugaben haben Branford Marsalis und sein Quartett schon gegeben und das Saallicht signalisiert das Ende des Konzerts. Doch immer noch applaudiert das Publikum am Sonnabend in der ausverkauften Elbphilharmonie dem Saxofonisten aus New Orleans voller Begeisterung und verlangt nach mehr Musik. Mit dem Tenorsaxofon unter dem Arm schlendert er noch mal auf die Bühne und bedankt sich für diesen frenetischen Beifall mit dem Standard „It Don’t Mean A Thing (If It Ain’t Got That Swing)“, den Duke Ellington 1931 geschrieben hat. Für Marsalis und seine Band ist das eine Fingerübung, die sie lässig absolviert und mit der die vier Musiker deutlich machen, wie wichtig ihnen die Jazztradition ist. Auch das bekannte „Petite Fleur“, von dem New-Orleans-Klarinettisten Sidney Bechet komponiert, ist im Zugabenteil eine weitere Referenz an Marsalis’ Heimatstadt im Süden der USA.
Angefangen hatte der Abend mit einer Komposition von Bassist Eric Revis, die auch das aktuelle Album „The Secret Between The Shadow And The Soul“ eröffnet: „Dance Of The Evil Toys“ ist ein furioses Stück, das aus dem Geist des Free Jazz entstanden ist, als viele Musiker in den 60er-Jahren sich von allen harmonischen, melodischen und rhythmischen Fesseln befreiten und den Jazz mit Kollektivimprovisationen radikal revolutionierten.
Kein Zuschauer kann sich dem Furor des Ensembles entziehen
Mit dieser komplexen Art von Musik ist das Publikum in der Vergangenheit schon reihenweise aus der Elbphilharmonie vertrieben worden, doch an diesem Abend kann sich niemand dem Furor dieses Ensembles entziehen. Auf engstem Raum agieren die vier, Marsalis steht so dicht am Kontrabass von Revis, dass er ihn oft leicht berührt. Die Instrumente sind so eng gestellt, wie das in Jazzclubs gang und gäbe ist. Schon mit dieser ersten Nummer zeigt das Quartett, dass es zur absoluten Weltklasse gehört: Es ist das Real Madrid des Jazz.
Eric Revis am Bass ist weit mehr als ein Rhythmusgeber, wie bei einem Solisten fliegen seine Finger über die vier Saiten. Pianist Joey Calderazzo kann ebenfalls jedes Tempo gehen, aber genauso gut lyrische Melodien mit den 88 Tasten hervorzaubern. Und Branford Marsalis setzt auf dem Tenor zu einem Höhenflug an, der atemlos macht.
Schlagzeuger Justin Faulkner ist die Sensation des Abends
Die Sensation in dieser Combo ist jedoch Schlagzeuger Justin Faulkner. Vor zehn Jahren stieß er zu Marsalis’ Quartett und verdrängte den herausragenden Jeff „Tain“ Watts vom Schlagzeughocker. Damals war er gerade 18 Jahre alt und viele Experten fragten sich, ob so ein Frischling das Niveau des Quartetts nicht nach unten ziehen würde. Doch schon damals überzeugte der Junge aus Philadelphia, der im ersten Studienjahr auf der Berklee School of Music eingeschrieben war. Inzwischen ist er zu einem Musiker herangereift, der mit seiner Virtuosität, seiner Technik und seinem Gespür für den richtigen Beat vielleicht der beste Schlagzeuger der aktuellen Szene ist. Gegen Ende des Konzerts bekommt er Raum für ein kurzes Solo, doch den benötigt er eigentlich nicht. Er agiert wie ein Solist, der intuitiv weiß, was er zu spielen hat.
Proben gibt es beim Branford Marsalis Quartet nicht, in einem Interview hat Faulkner erzählt, was sein Bandleader ihm vor zehn Jahren mit auf den Weg gegeben hat: „Jeder Song wird dir erzählen, was er benötigt“, hieß die wenig konkrete Anweisung. Aber Justin Faulkner hat sie umsetzen können und ist zu einem kongenialen Partner für die anderen drei Ausnahmekönner geworden. Wenn der Beifall im großen Saal der Elbphilharmonie nach jedem Solo aufbrandet, gilt er zu einem großen Teil dem Drummer, der seine Stöcke knüppelhart oder butterweich einsetzt. Je nachdem, was er fühlt.
Die meisten Stücke des Abends stammen vom aktuellen Album der Band. „The Secret Between The Shadow And The Soul“ ist das erste Studioalbum seit 2012, das Branford Marsalis wieder nur mit seinem Quartett eingespielt hat. Dazwischen lag die Arbeit mit dem Sänger Kurt Elling, mit dem er vor zwei Jahren auch schon in der Elbphilharmonie gastierte. Nur das Stück „Life Filtering From The Water Flowers“ stammt aus der Feder des Bandleaders. Es beginnt mit einem gestrichenen Bass von Revis, ein paar behutsamen Tönen von Calderazzo und Marsalis, dazu streichelt Faulkner die Snaredrums mit den Besen.
Doch dann explodiert die Band geradezu und entfacht die Energie eines Hochofens. Revis und Calderazzo haben je zwei der neuen Nummern geschrieben, zwei weitere stammen aus den 70er-Jahren von geschätzten Kollegen. „Snake Hip Waltz“, Stück Nummer drei auf der Setliste, ist vom Pianisten Andrew Hill komponiert worden. Es ist ein fröhlicher Song, den Calderazzo mit ein paar sperrigen Akkorden aufbricht und der an den Spaß erinnert, den viele schwarze Jazzcombos in den Spelunken zwischen Chicago und New Orleans ihren Zuhörern bereiten.
Jeder Instrumentalist darf zeigen, dass Geschwindigkeit keine Hexerei ist
Alle Kompositionen des Abends sind weniger frei und sehr viel zugänglicher und auch melodiöser als das Eröffnungsstück. Mit „On The Sunny Side Of The Street“, in den 30er-Jahren ein Hit für Louis Armstrong, hat Marsalis sogar eine etwas schnulzige Nummer im Repertoire. Doch der Swing darin macht den Musikern offensichtlich Spaß, denn während des Spiels scherzen sie miteinander. Auch Keith Jarretts „The Windup“, das er 1974 mit einem skandinavischen Quartett um den Saxofonisten Jan Garbarek aufgenommen hat, interpretiert Marsalis’ Combo. Sie macht daraus eine Tour de Force, die über das Original weit hinausgeht. Hier darf jeder Instrumentalist zeigen, dass Geschwindigkeit keine Hexerei ist.
Das Publikum ist nach eineinhalb Stunden aus dem Häuschen und klatscht und klatscht und klatscht. Drei Zugaben sind der Dank des Quartetts an die begeisterten Zuhörer.