Hamburg. Das Lichtkonzept mit seinen Scheinwerfern und 650 Glaskugeln im Zuschauerraum ist komplex. Mitentworfen hat es Ulrike Brandi.
Mittwoch, 11. Januar 2017, Tag eins der Elbphilharmonie. Das Foyer summt vor Erwartung, Ungeduld und Gerüchten. Der Einlass verzögert sich, die Kanzlerin ist noch nicht da. Als sich die Türen schließlich öffnen und die Gäste in den Großen Saal strömen, sehen sie zum ersten Mal das warme, festliche Licht: Scheinwerfer beleuchten die Bühne, 650 Glaskugeln verbreiten im Zuschauerraum Helligkeit ohne Schärfe.
Gut zwei Jahre später hat Ulrike Brandi gerade noch eine Kugel in ihrem Büro, den Prototypen. Das Exemplar ist mundgeblasen wie alle anderen; in den Glaswänden sitzen linsenartige Blasen, und unterschiedlich dick ist das Glas auch. Die Unregelmäßigkeiten sind gewollt. „Wenn das Licht durch die Einschlüsse auf die strukturierten Wände fällt, ergibt das ganz lebendige Effekte“, sagt Brandi. Lichtdesign ist ihr Beruf. Gemeinsam mit den Architekten Herzog & de Meuron hat sie das Lichtkonzept für die Elbphilharmonie entworfen, von den Außenanlagen bis zum Herzen des Gebäudes, dem Großen Saal, ausgenommen nur die Bühnenbeleuchtung.
Akustik und Licht sind entscheidende Bestandteile der Architektur
Wovon hängt es ab, wie ein Raum, ein Saal, ein Gebäude auf uns wirkt? Akustik und Licht sind immaterielle, aber entscheidende Bestandteile der Architektur; viele Menschen nehmen sie als Faktoren gar nicht wahr. Nach der jüngsten Debatte über die Akustik der Elbphilharmonie soll es an dieser Stelle einmal um das Licht in Konzertsälen gehen. Die Arbeit der Lichtdesigner ist, wenn man so will, das Gegenstück zu der des Akustikers Yasuhisa Toyota.
„Licht ist wichtig“, sagt Christoph Lieben-Seutter, Generalintendant von Elbphilharmonie und Laeiszhalle. „Es hat mich immer gestört, dass die Beleuchtung in der klassischen Musik zu kurz kommt. Wenn ein Orchester zu Gast ist, bräuchte man vor dem Konzert eine Lichteinstellungsprobe für die vielen Details. Aber die gibt es nur selten.“ Bei Pop- und Rockkonzerten wird das Licht im Detail vorbesprochen. Dagegen bleibt es bei der Klassik, wenn nicht gerade eine konzertante Oper oder ein Weltstar auf dem Programm steht, meist bei Standardeinstellungen. Wer mehr will, muss einen Lichttechniker dazubuchen. Und der kostet.
Beim Lichtkonzept ist auch die Lage der Elbphilharmonie mitgedacht
Für Einlass und Aufführung gibt es unterschiedliche Beleuchtungen. „Die Leute kommen herein, orientieren sich und nehmen visuell wahr, was sie später akustisch wahrnehmen“, erklärt Brandi. Sie hat bei ihrem Lichtkonzept die Lage des Hauses und insbesondere den Ausblick auf Stadt und Hafen mitgedacht. „Der ist sehr ungewöhnlich für ein Konzerthaus. Die Besucher nehmen das Tageslicht im Herzen mit, und dann kommen sie in den Saal mit seinem Licht- und Schattenspiel auf den Strukturen der Weißen Haut.“
Für Lichtplaner ist der wichtigste Faktor nicht der Grundriss eines Saals, sondern der sogenannte Schnitt, also in welcher Höhe des Saals was geschieht, wo etwa die Bühne liegt und wie sich die Plätze dazu verhalten. Natürlich regieren in den ästhetischen Entwurf Dutzende von Bau- und Sicherheitsvorschriften hinein, darunter Wortmonster wie die Norm für Beleuchtung von Arbeitsstätten in Innenräumen (DIN EN 12464-1). In welcher Helligkeit Treppenstufen zu beleuchten sind, daran kann in Deutschland auch der renommierteste Architekt nichts ändern. Für das Bühnenlicht sind 1000 Lux vorgeschrieben, damit die Musiker ihre Noten lesen können.
Im Saal soll es so dunkel wie möglich sein
Zur Aufführung wird das Licht heruntergedimmt. Aber wie weit? „Ich finde, das Konzertlicht sollte so dunkel wie möglich sein, so dass die Leute gerade noch das Programm lesen können“, sagt Lieben-Seutter, „das fördert die Konzentration auf das Bühnengeschehen.“
Allerdings ist der Bühnenboden des Großen Saals so hell, dass er unter den Scheinwerfern geradezu leuchtet. Daran scheiden sich gelegentlich die Geister. Einerseits stiftet es Gemeinschaft, die gegenübersitzenden Zuhörer zu sehen, andererseits kann es ablenken, zumal die Farbe der Kleidung mit zunehmender Helligkeit präsenter wird und optische Unruhe hineinbringt. „Für die erforderliche Lichtstärke auf der Bühne wird immer nur gemessen, wieviel Licht von oben kommt“, sagt Brandi. „Aber die Reflexion des Fußbodens bleibt unberücksichtigt. Mit einem dunkleren Boden könnten die Musiker genauso gut sehen, aber er würde mehr schlucken.“ Das aber hätte nicht zu Toyotas Vorstellungen gepasst, wie Christoph Lieben-Seutter berichtet: „Toyota wollte aus akustischen Gründen unbedingt dieses Holz, Oregon Pine. Und das ist nun einmal so hell.“ Die Akustik geht im Zweifel natürlich vor.
Ganz oben, in Block Z, öffnet der Hausherr eine Wandtür, um vom Publikumsbereich zur Technik zu gelangen. Über Gittertreppen und dick verkleidete Rohre steigt er in Richtung Saalmitte, bis er sich genau über der Bühne befindet. Durch die geschwungenen, verglasten Auslässe geht der Blick 18 Meter nach unten, wo Bühnenarbeiter das Popkonzert am Abend vorbereiten. 200 Scheinwerfer leuchten nach unten. „Die sind alle nur von hier oben von Hand zu bewegen“, erklärt Lieben-Seutter. „Die Helligkeit können wir per Knopf regeln, aber nicht die Richtung. Wenn wir eine individuelle Einstellung gemacht haben, muss nachher jemand hier heraufkommen und die Scheinwerfer wieder zurückdrehen.“
Die Elbphilharmonie hat wesentlich mehr Lichtmöglichkeiten als andere Häuser. Trotzdem sind Wünsche offengeblieben. Einen sogenannten Verfolger hätte Lieben-Seutter gern gehabt, doch in dem Rund unter der Decke war kein Platz für den Techniker, um den Scheinwerfer zu steuern. Es gibt zwar Scheinwerfer, die sich per Regler fernsteuern lassen, aber die werden maschinell belüftet. Das macht Geräusche, und die verbieten sich bei Klassikkonzerten.
Die Beleuchtung im Saal prägt den Höreindruck mit
Und was brauchen die Musiker, außer den 1000 Lux? Der Pianist Matthias Kirschnereit, der in Alsterdorf lebt und weltweit konzertiert, sieht die Sache zunächst mal praktisch: „Das Licht muss ganz gerade von oben kommen, sonst hat man immer Schatten.“ Das Scheinwerferlicht und der Kontrast zur Dunkelheit im Zuschauerraum helfen Kirschnereit, sich zu fokussieren: „Da steigt gleich der Adrenalinpegel.“ Komplett schwarz, wie es in Japan manchmal der Fall sei, solle der Saal aber auch nicht sein: „Wenn man weiß, irgendwo da draußen sitzen 2000 Leute, kann das etwas Bedrohliches haben. Das ist wie ein schwarzes Loch, das auch Energie absorbieren kann.“
In Deutschland sind da schon die Sicherheitsvorschriften vor. Grüne Männchen zeigen Fluchtwege an, die Stufenbeleuchtung ist immer zu sehen. Schummrig kann es allerdings durchaus sein. Der Pianist Grigory Sokolov mag’s bekanntlich gern halbdunkel. Und Kirschnereit erinnert sich an Konzerte mit der Pianistenlegende Swjatoslaw Richter: „Der hatte oft nur so eine Stehlampe dabei, die gab ein Licht, als wäre da nur eine 25-Watt-Birne drin. Ich finde so einen Hausmusikcharakter eigentlich sehr schön. Aber im großen Konzertsaal hatte das etwas allzu Privates. Man hatte oft das Gefühl, es ist ein bisschen vom Blatt gespielt.“
Was einmal mehr zeigt: Die Beleuchtung prägt unseren Höreindruck mit. Ob wir es uns bewusst machen oder nicht.