Hamburg. Das Stück „De verdüvelte Glückskeks“ feierte gelungene Uraufführung. Mit dabei: Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank.

Wo ist sie geblieben, die gute alte Dorf-Idylle? Das fragt sich auch der frühpensionierte Lehrer Finn Köttmann, als er nach Jahrzehnten in Stuttgart in seine norddeutsche Heimat zurückkehrt. Im Schlepptau seine Ehefrau Ingrid, deren Nachnamen Häberle er angenommen hat, und den nur an Hip-Hop interessierten Sohn Helge.

Diesen Rahmen hat Sönke Andresen für „De verdüvelte Glückskeks“ gesetzt, nach „Plattdüütsch för Anfängers“ seine zweite Arbeit für das Ohnsorg-Theater. Wie schon in dem Erfolgsstück der vorigen Spielzeit sprechen die Menschen, die von außen kommen, in Annie Hegers plattdeutscher Übersetzung weiterhin hochdeutsch. Das Ensemble und das Regieteam mitsamt Autor feierte das Publikum am späten Sonntagabend bei der Uraufführung des neuen Stücks mit minutenlangem Applaus.

Bretenbüll, so der Name des fiktiven Dorfes, ist zwar nicht überall. Es steht jedoch für eine gelungene Verbindung der Ohnsorg-Tradition mit seinen alten ländlichen Schwänken und aktuellen Zeitgeist-Erscheinungen in einer zusehends globalisierten Welt: Der Dorfkrug ist hier noch immer das soziale Zentrum, nun aber in Gestalt eines Asia-Imbiss. Der meist am Smartphone konsultierte Pastor kommt aus Polen statt aus dem hohen Norden, und der seit 15 Jahren amtierende Bürgermeister plant mithilfe eines Großinvestors aus Aserbaidschan in der Marsch ein Raffinerie-Projekt, um den Wohlstand des Dorfes (und seinen eigenen) zu mehren.

Ex-Lehrer Finn gründet seine eigene Partei: „Köttmann kommt“

Das aber spaltet die Dorfgemeinschaft und ruft den Rückkehrer und Ex-Lehrer Finn (Konstantin Graudus) auf den Plan. Er nimmt wieder seinen Geburtsnamen an und gründet seine eigene Partei: „Köttmann kommt“, kurz KK. Zum Unwillen vom Bürgermeister Bjarne Ketelsen (Oskar Ketelhut), mit dem „Kötti“ zu Schulzeiten einst in Streit auseinanderging. Alles wegen des Ärgers um die junge Deern Karen (Sandra Keck), der heutigen Dorfärztin. Eine Dreiecks-Liebesgesichte auch in guter alter Ohnsorg-Tradition.

Viel, an manchen Stellen fast schon ein bisschen zu viel hat Grimme-Preisträger Andresen (für seine ARD-Komödie „Familie Lotzmann auf den Barrikaden“) in sein zweites Ohnsorg-Stück gepackt. Wie der Titel „De verdüvelte Glückskeks“ verheißt, spielt ein Glückskeks mitsamt einer Prophezeiung mit ­hinein. Als Finn das Buchstabenrätsel „Drei Wurst Mond“ in eine andere Reihenfolge sortiert hat („Du wirst morden“), wirkt er konsterniert. Marschgeister, die er nicht rief und die real natürlich nicht existieren, ziehen sich durch das gesamte Stück.

Zwei Charakterköpfe: Konstantin Graudus und Oskar Ketelhut

„Eine Mischung aus Heimatgeschichte, Geistersage und Räuberpistole“, nannte es Ohnsorg-Intendant Michael Lang in seiner leidenschaftlichen Rede auf der Premierenfeier bildhaft-treffend. Regisseurin Meike Harten und Ausstatterin Beate Zoff (Bühnenbild und Kostüme) gelingt es vortrefflich, mit feinen Kniffen, die Sprünge innerhalb des Dorfes und ins Mystische anschaulich zu machen, inklusive der modernen Umbau- und Zwischenmusik „Wenn du tanzt“ der Band Von Wegen Lisbeth.

Im homogenen Ensemble der zehn starken Schauspieler fällt keiner ab, mancher jedoch etwas mehr auf. Allen voran Konstantin Graudus und Oskar Ketelhut als Charakterköpfe und Kampfhähne. Graudus spielt den Ex-Lehrer mit Burnout auf der Suche nach einem romantischen Heimatbegriff – erst alte Schule, dann richtig zornig und zerrissen von den bösen Geistern. Ketelhut gibt seinen Ketelsen mit Baseball-Kappe, getönter Sonnenbrille und Schnauzer anfangs so, als wäre das Kiez-Original „Inkasso-Henry“ wieder auferstanden, verkörpert dann mit Gesten und Gehabe gekonnt einen Trump für Arme.

Ein Bürgermeister-Duell in „Bretenbüll-tv“

Bei ihrem Bürgermeister-Duell in der Dorfkneipe – als Livestream inszeniert für „Bretenbüll-tv“ – dürfte Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) als Ehrengast in Reihe eins erkannt haben, wie man, vielmehr frau es nicht macht. Lustig fürs Wahlvolk ist die Szene jedoch.

In den Nebenrollen stechen die Ohnsorg-Ensemblemitglieder Beate Kiupel als Finns Ehefrau und Robert Eder als polnischer Pastor komödiantisch hervor. Auch weil sie in „De verdüvelte Glückskeks“ mal nicht platt-, sondern hochdeutsch sprechen und dazu noch richtig falsch singen dürfen. Der Satz „Ich dachte immer, ich wäre Alt, aber er sieht mich als Mezzosopran“, aus Kiupels Mund ist einer der größten Lacher des Abends. Am meisten Platz auf der Bühne beansprucht naturgemäß Drei-Zentner-Mann Horst Arenthold, hier Finns alter Onkel Hein. Als „Spökenkieker“ am Rollator mit grünem Tarnzeug und Schrotflinte ist mit ihm nicht zu spaßen.

Doch es gibt ja noch eine weitere Liebesgeschichte – die der coolen Teenager-Kinder (Karina Rudi und Marco Reimers) vom Bürgermeister und Bürgermeister-Kandidat. Die sollen eigentlich gar nicht zusammenkommen, haben für Bretenbüll dann doch eine zündende Zukunftsidee. Stichwort Musik.

„De verdüvelte Glückskeks“ bis 13.4., Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1., Karten zu 15,50 bis 31,-: T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de