Hamburg. Im Kleinen Saal der Elbphilharmonie zeigten sie, wie eng Tiefe und Leichtigkeit, Tragik und Albernheit benachbart sind.

Einen jour fixe müssen sie haben da oben im Komponistenhimmel, die Herren Stockhausen, Nono und Boulez aus der gefürchteten Darmstädter Schule. Sonst kämen sie ja gar nicht nach damit, über den Kollegen Jörg Widmann zu richten. So viel wie der schreibt. So unverschämt sinnlich, anhörbar, so gar nicht avantgardistisch-besserwisserisch.

Schon mit seinem Oratorium „Arche“, mit dem vor zwei Jahren Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester in die Elbphilharmonie eingezogen sind, hat er deutlich gemacht, wie eng bei ihm Tiefe und Leichtigkeit, Tragik und Albernheit benachbart sind. Die Welt ist eben alles zugleich.

Tiefernste Verneigung vor dem genialen Spätwerk

Nun haben Widmann und das Hagen Quartett im Kleinen Saal der Elbphilharmonie sein Klarinettenquintett aus dem Jahre 2017 aufgeführt. Das Stück spielt mit Motiven aus dem Schwesterwerk von Johannes Brahms, es verfremdet und zerlegt sie, befragt sie auf ihren Kern. Eine tiefernste Verneigung vor dem genialen Spätwerk ist das.

Aber Widmann liebt die Collage. Allein für seine expressiven Kantilenen müsste ihn der Bannstrahl aus dem himmlischen Darmstadt treffen. Wer wollte, konnte aus den beschwingten und immer wieder unbekümmert harmonischen Passagen sogar Anklänge an Chansons heraushören.

Hochkonzentriert gespielt mit allen Mitteln der Streicherkunst

Ein kompositorisch strengerer Widmann war die Fantasie für Klarinette solo von 1993, dargeboten vom Verfasser. Er ließ sein Instrument quietschen, lachen und dröhnen, spielte ausgiebig zweistimmig – bei Bläsern nur mit Tricks möglich – und ließ den Ton auf jene Weise verklingen, wie es nur eine Klarinette kann, bis er im Raum schon nicht mehr zu orten war.

Das war die zweite, die unterhaltsame Konzerthälfte. Sehr ernst ging es in der ersten zu. Das Hagen Quartett eröffnete den Abend mit „Zwölf Mikroludien“ von György Kurtág, jedes von ihnen wenige Sekunden kurz, reine Essenz, hochkonzentriert gespielt mit allen Mitteln der Streicherkunst. Und folgte in Schostakowitschs Streichquartett Nr. 15 dem Komponisten durch sechs langsame Sätze hindurch in alle Verästelungen der Trauer, von Schock über Untröstlichkeit bis zu heiteren Reminiszenzen.

Welttheater auch das, nur verhangen mit dem Schleier des Abschieds.