Hamburg. In der Elbphilharmonie begab sich der Pianist auf einen der steilsten Achttausender der Virtuosenliteratur.

Wenn Klavierabende nicht die Erwartungen erfüllen, die sich in die Summe ihrer Einzelteile hineinahnen lassen, kann auch das von Interesse sein. Nur eben: anders. Alexander Lubyantsevs Recital im Kleinen Saal der Elbphilharmonie war einer dieser Abende, der anders lief als vermutet. Der leicht eremitenhaft wirkende Russe, der sich 2011 beim Moskauer Tschaikowsky-Wettbewerb den ersten Sonderpreis der örtlichen Musikkritiker und auch andernorts einige Fleißbelege erspielt hatte, legte mit seinem Programm einen geradezu rasanten Kavalierstart hin: Nach Präludium und Fuge As-Dur aus Band 1 von Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ und Beethovens erster Klaviersonate op. 2/1 folgte Ravels „Gaspard de la nuit“. Eben noch im beschaulichen Flachland, dann ohne Sauerstoff rauf auf einen der steilsten Achttausender der Virtuosenliteratur.

Der Bach: geschenkt; Lubyantsev absolvierte ihn lediglich wie eine ungeliebte Fingerübung, aus den Fingern, aus dem Sinn. Der Beethoven: verschenkt; zu unsinnlich, zu sehr buchstabiert, zu wenig Anmut. Im Ravel allerdings bekam man eine konkretere Ahnung davon, wie viel Lubyantsev können kann, wenn die Herausforderung stimmig ist. Das impressionistische Flirren zu Beginn von „Ondine“, die abgründige Nachtstimmung von „Le Gibet“ und erst recht der überdrehte Größenwahn von „Scarbo“: bei jeder der drei Gedicht-Vertonungen war sehr viel Schönes dabei. Klangfarbenspürsinn, die Lust am Fabulieren und der Spaß an jenen Momenten, in denen man als Interpret so gerade eben nicht durch die aberwitzigen Anforderungen aus der Bahn geworfen wird.

Lists Mephisto-Walzer konnte nicht durchgängig begeistern

Das Schwerste war also gut geschafft, nach der Pause ging es eine Niveau-Etage tiefer weiter: Liszts Mephisto-Walzer, eines dieser Stücke, die großes Kino sein müssen, weil sie die Phantasie so sehr anregen, war bei Lubyantsev ein ziemlicher Spaß, allerdings auch nicht geschmeidig genug, um durchgängig zu begeistern. Doch bei Chopins h-Moll-Sonate meldete sich mehrfach – obwohl Lubyantsevs Tongestaltung hier Tiefe und Wärme bot – und insbesondere im dahingerasten Scherzo der Eindruck, er habe es sehr eilig, möglichst flott ans Ende seines nicht gerade kleinen Pensums zu kommen. Schade, denn gerade in diesem reifen Stück wären mehr Geduld und gelassenere Gespanntheit die klassischen Tugenden der Wahl gewesen.