Hamburg. „Licht“, der neue Roman des US-Schriftstellers, erzählt von den LSD-Experimenten einer Generation und ihrem Vordenker Timothy Leary.

Timothy Leary war der Guru der Hippie-Bewegung. Der Harvard-Dozent feierte die bewusstseinserweiternde Wirkung von Drogen wie Psilocybin und LSD. Er schluckte die Pillen nicht nur selbst in der Hoffnung auf Erleuchtung, er scharte einen ganzen Kreis von jungen, erlebnishungrigen Akademikern um sich, die mit ihm bald auf einen Trip nach dem anderen gingen und die Welt um sich herum vergaßen. Mit mehr als einem halben Jahrhundert Abstand klingt es nach einer ziemlich verrückten Geschichte. Wer könnte sie besser erzählen als T. C. Boyle?

Der Experte für amerikanische Exzentriker widmet Leary und seinem Kampf um freien Zugang zu psychodelischen Drogen seinen neuen Roman „Licht“. Und er macht das mit bewundernswerter Lässigkeit. Bei Boyle wird Leary nicht zum Helden, sondern zu einer facettenreichen, schillernden Figur. Er demaskiert die Heilserwartungen, die eine ganze Generation junger Amerikaner in LSD setzte und macht daraus eine großartige Ge­schichte.

Sie kommt zwar anders als etliche andere seiner Romane ohne Gewalt und blutige Dramen aus, aber T.C. Boyle, der Anfang Dezember 70 geworden ist, hält die Spannung wie eh und je. Beim Entwickeln des Romankonzepts hatte er gleich zwei richtig gute Ideen: Der eigentlichen Handlung ist zum einen ein Kapitel vorangestellt, das 1943 in Basel spielt.

Boyle erzählt mit viel Sinn für Komik

Boyle erzählt darin mit viel Sinn für Komik, wie der Schweizer Chemiker und Arzneimittelforscher Albert Hofmann bei einem Selbstversuch herausfand, welche halluzinogene Wirkung Lysergsäurediethylamid, kurz LSD, hatte. „Schwindel, Angstgefühl, Sehstörungen, Lähmungen, Lachreiz“, notierte er in sein Notizbuch. Und mit geweiteten Pupillen staunte er immer wieder über „Das Licht! Das Licht!“.

Hofmanns Visionen haben Boyles Roman den Titel gegeben, der gerade – übersetzt von Dirk Gunsteren – im Hanser Verlag erschienen ist, noch bevor er in den USA in die Buchhandlungen kommt. Gute Idee Nummer zwei: Boyle hat Leary (1920-1996), der bei vielen Psychologen seinerzeit als Scharlatan galt, gar nicht in den Mittelpunkt gestellt, sondern den jungen Psychologie-Studenten Fitz, der in Harvard promovieren will und an der Uni auf Leary stößt.

Fitz, halbwegs glücklich verheiratet mit Joanie und Vater des gemeinsamen Sohnes Corey, ist auf dem besten Weg, eine wissenschaftliche Karriere zu machen. Aber damit ist es bald vorbei, nachdem er 1962 regelmäßiger Gast bei den Drogenpartys wird, die Tim Leary in seinem Haus in Cambridge feiert. Dort gibt es coolen Jazz, coole Drinks und kleine Pillen, die das Unbewusste freisetzen sollen. „Ihr steht vor der größten Erleuchtung eures Lebens!“, verspricht Tim. „Vertraut mir. Wirklich.“

Das Leben in der Kommune wird immer komplizierter

Und so wie Fitz und Joanie vertrauen ihm auch etliche andere, ziehen mit ihm erst nach Zihuatanejo in Mexiko, um bei ständig gutem Wetter Sex, Trips und das Nichtstun zu genießen und schließlich nach Millbrook im Bundesstaat New York. Aber das Leben in der Kommune, das anfangs so unbeschwert erscheint, wird auf Dauer immer komplizierter.

Nicht nur, weil Fitz und Joanie sich bald nichts mehr zu sagen haben, sondern auch, weil der ständige Drogenkonsum in jeder Hinsicht Folgen hat. Die Hoffnung, auf den Trips den Sinn des Universums zu durchschauen und die absolute Erkenntnis zu erlangen, erfüllt sich nicht. Fitz landet brutal auf dem Boden der Tatsachen. Joanie ist da schon längst mit Corey zu ihren Eltern gezogen.

T.C. Boyle, selbst vor Jahrzehnten mit Drogen aller Art bestens vertraut, lässt die Geschichte enden wie einen kalten Entzug: schmerzhaft und desillusionierend.