Hamburg. Die NSU-Monologe am Schauspielhaus sind aufwühlendes Erinnerungsstück und wichtige Mahnung gleichermaßen.

Der Rassismus in Deutschland zeigt sich täglich. Aktuellstes Beispiel ist der Fall der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz, die Drohbriefe mit rassistischen Schmähungen bekommt, vermutlich aus Kreisen der hessischen Polizei. Zwei Faxe an sie waren mit „NSU 2.0“ unterzeichnet, Hinweis auf die neonazistische Terrorvereinigung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU), die neun Morde aus ausländerfeindlichen Motiven begangen hat, bevor sie im November 2011 entdeckt wurde. Zwei der Mitglieder begingen Selbstmord, Beate Tschäpe, der dritten Haupttäterin, sowie einigen Unterstützern wurde der Prozess gemacht.

Im Juli 2018 wurde Tschäpe zu lebenslanger Haft verurteilt. Die Familien der Opfer sind nach Ende des jahrelang dauernden Prozesses in München dennoch enttäuscht. Zu wenig hat sich das Gericht ihrer Meinung nach mit den Hintergründen der Morde beschäftigt. Osman Taşköprü, Bruder des am 27. Juni 2001 in seinem Lebensmittelladen in Hamburg erschossenen Süleyman Taşköprü, fragt in einem Film nach Helfershelfern und Hintermännern der Tat und bemängelt das Desinteresse der Hansestadt an einer Aufklärung der Hintergründe. Dieses kurze Video führt mitten hinein in „Die NSU-Monologe“ im ausverkauften Schauspielhaus.

Die Geschichten von drei Familien

Die Schauspielerinnen Idil Üner, Elisabeth Pleß, Vanida Karun und der Kabarettist Aydin Isik erzählen die Geschichten von drei Familien, die durch die NSU-Morde nahe Angehörige verloren haben: Enver Şimşek wurde im September 2000 an seinem mobilen Blumenstand in Nürnberg erschossen, Mehmet Kubaşık am 4. April 2006 in seinem Kiosk in der Dortmunder Nordstadt, Halit Yozgat nur zwei Tage später in seinem Internet-Café in Kassel. Die Texte der Schauspieler basieren auf Befragungen der Witwen von Şimşek und Kubaşık und der Eltern des 21 Jahre alten Yozgat.

Regisseur Michael Ruf von der „Bühne für Menschenrechte“ hat diese Geschichten gekürzt und verdichtet. „Wir machen wortwörtliches Theater“, sagt er bei der Einführung in den Abend. Die Schauspieler sind lediglich Stellvertreter der Opfer. Das gibt dem Abend eine Sachlichkeit, die angesichts des unfassbaren Geschehens nötig scheint. Kein Angehöriger könnte die Ereignisse schildern, ohne in Tränen auszubrechen oder seine Wut herauszuschreien.

Die Schauspieler holen dabei weit aus und beschreiben dörfliches Leben in der Türkei, erste Liebe, Heirat, aber auch Folter und Misshandlungen von Kurden und Aleviten. Sie beschreiben auch die hohen Erwartungen, die man an das Gastland hat, das als sicher, gerecht und demokratisch gilt, das jungen Türken Arbeitsplätze bietet.

Wenig Mitleid für die Angehörigen

Dann geschehen die Morde, und die Polizei ermittelt. Mitleid bekommen die Angehörigen nur wenig. Im Gegenteil: Den Mordopfern und ihren Familien wird unterstellt, in kriminelle Machenschaften verstrickt zu sein: in Geldwäsche, Schmuggel, Rauschgifthandel. In Hinblick auf rassistische Motive wird nicht geforscht, die Polizei glaubt an Gewalt unter türkischen Mafia-Mitgliedern. Aus Opfern sollen Täter gemacht werden. Erst 2011, mit der Entdeckung des NSU, ermitteln die Behörden im rechtsterroristischen Umfeld.

Niemand aus den Opferfamilien glaubt, dass Böhnhardt, Mundlos und Tschäpe allein für die Taten verantwortlich gewesen sind. „Wer steht hinter diesem Trio?“, fragt der Vater von Halit Yozgat. Enttäuscht sind die Familien auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hatte versprochen, die Morde aufzuklären, Hintermänner zu finden und alle Täter ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Doch die Hintergründe kamen im Münchner Prozess nicht zur Sprache. „Der Kampf geht weiter“, sagt Idil Üner in der Rolle der Witwe Elif Kubaşık.

„Die NSU-Monologe“ sind ein aufwühlendes Erinnerungsstück und wichtige Mahnung zugleich. Das gilt auch für das der Aufführung folgende Gespräch der Hamburger Initiative „Kein Schluss-strich“. Zeugen und Opfer erinnern unter anderem an den rassistischen Mordanschlag auf zwei türkische Familien in Mölln 1992, auf das Asylantenheim Halskestraße 1980 und an die Schriftstellerin Semra Ertan, die sich 1982 aus Protest gegen Ausländerfeindlichkeit auf St. Pauli verbrannte und deren Gedicht „Mein Name ist Ausländer“ zur Schullektüre geworden ist.

Stück zum NSU auch im Thalia-Theater

Auch das Thalia Theater beschäftigt sich mit dem NSU. Die Journalisten Annette Ramelsberger, Wiebke Ramm, Tanjev Schultz und Rainer Stadler haben den NSU-Prozess vom ersten Tag an lückenlos verfolgt und eine Mitschrift erstellt. Dieses Protokoll liegt nun als Buch vor. Daraus lesen Ensemblemitglieder im Thalia Gaußstraße im Rahmen der Lessingtage an diesem Sonntag von 11 Uhr an. Außerdem moderiert Dramaturg Matthias Günther ein Gespräch mit Ramelsberger und Ramm.

Im Mittelpunkt der Matinee werden Fragen nach der Ermordung von Süleyman Taşköprü stehen. „Zu viele Fragen sind noch unbeantwortet“, sagt Günther. Welche Rolle hat zum Beispiel die Hamburger Neonazi-Szene mit ihren bundesweit vernetzten Führungsfiguren im NSU-Komplex gespielt? Und warum gibt es in Hamburg immer noch keinen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung des terroristischen Hintergrundes?

Der NSU-Prozess. Das Protokoll. Lesung und Gespräch So 3.2., 11.00, Thalia
Gaußstraße (Bus 2), Gaußstraße 190, Karten 12,-/8,-; www.thalia-theater.de