Hamburg . Heiner Müllers „Hamletmaschine“ war in einer ungewöhnlichen Version im Thalia in der Gaußstraße zu erleben.
„Do you know what time it is?“ Kenda Hmeidan rast im Rollstuhl über die Thalia-Bühne in der Gaußstraße. „It’s Crazy-Clown-Time!“ Die Zeit der verrückten Clowns ist angebrochen, und verrückte Clowns machen keine Gefangenen, die brüllen, die zielen ins Publikum, die führen einen grotesken Totentanz auf. Wahrscheinlich sollte man lachen.
Heiner Müllers 1979 uraufgeführte Shakespeare-Überschreibung „Die Hamletmaschine“ ist wohl einer der am schwersten zugänglichen deutschsprachigen Theatertexte: ein Steinbruch aus Fragmenten von „Hamlet“, verschnitten mit (Alp-)Traumsequenzen, Theatertheorie und einem resignierten Nachdenken über die Rolle des Künstlers in der DDR.
Böser Reigen verrückter Clowns
Als „zweiten Clown im kommunistischen Frühling“ bezeichnete Müller den Künstler, der in der Diktatur die Rolle des Hofnarren einzunehmen hat, und das ist der Anknüpfungspunkt, von dem aus Sebastian Nüblings im Rahmen der Lessingtage in Hamburg gezeigte Inszenierung die „Hamletmaschine“ neu denkt: als bösen Reigen verrückter Clowns. Bloß dass der Frühling kein kommunistischer mehr ist, sondern ein arabischer.
Nübling hat die „Hamletmaschine“ mit dem Exil Ensemble am Berliner Maxim Gorki Theater einstudiert, einer Gruppe von migrantischen Schauspielern, die während der vergangenen Jahre nach Deutschland geflohen waren, und die am Gorki in ihrem erlernten Beruf arbeiten können. Was die Inszenierung vor eine knifflige Aufgabe stellt: Die Darsteller kommen ursprünglich aus Palästina, Syrien und Afghanistan, die meisten sprechen Arabisch, manche Englisch, wenige Deutsch.
Clown: Was wollt ihr?
Die Probenkommunikation gestaltete sich unter diesen Umständen als kompliziert, auch wenn Nübling in so einem Fall natürlich ein bewährtes Repertoire an Regietechniken zur Hand hat, allen voran den Rückgriff auf eine sehr körperliche Theatersprache (die er auch in anderen Arbeiten einsetzt, aktuell zum Beispiel in „Maria“ am Thalia). Das hilft schon einmal dabei, etwas auf der Bühne passieren zu lassen, mit Karim Daoud, dessen Clown Zaubertricks vorführt, mit Mazen Aljubbeh, der einen Rocksong spielt, mit Tahera Hashemi, die einen schweren Hammer über die Bühne schleppt und dann provozierend ins Publikum starrt: Wollt ihr was? Das hilft, bekommt aber noch nicht den verrätselten Müller-Text in den Griff.
Den fasst Nübling, indem er aus der Not eine Tugend macht und das Geschehen ins den Raum zwischen den unterschiedlichen Sprachen verlegt. Die Übertitel sind nicht nur Hilfestellung für Fremdsprachler, sie sind prägendes Element von Evi Bauers Bühne, projiziert auf einen Gazevorhang und entsprechend ständig präsent zwischen den Schauspielern. So kann in unterschiedlichen Sprachen gespielt werden, und der Text bleibt dennoch halbwegs verständlich – zumindest solange man zwischen dem Blick auf die Projektionen und der Konzentration auf die parallele Performance hin- und herwechseln kann.
Darsteller konnten ihre Erfahrungen einbringen
Dabei erweist sich die Vorlage mit einem Schlag als frappierend nachvollziehbar. „Ich stand an der Küste und redete mit der Brandung Blabla, im Rücken die Ruinen von Europa“, heißt es bei Müller, da liegt der babylonische Sprachwirrwarr schon im „Blabla“. Die Ruinen von Europa sind der Kontinent, den der Autor vor 40 Jahren als gezeichnet von Faschismus und Kaltem Krieg sah, und der hier erweitert wird auf den Nahen Osten.
Ayham Majid Agha hat einen Fremdtext für die Inszenierung geschrieben, eine Neufassung der Geschichte von Kain und Abel, in der ein Riss im Boden sich mit Blut füllt – „Blut“ heißt auf Arabisch „Dam“, „Riss“ heißt „Shak“, der Riss heißt „Damshak“, und daraus entwickelt sich Damaskus, der blutige Riss. Ein grausiges Sprachspiel, das Heiner Müller gefallen hätte.
Schon voriges Jahr war das Exil Ensemble bei den Lessingtagen zu Gast, mit Yael Ronens „Winterreise“. „Die Hamletmaschine“ aber war der spannendere Abend: Weil die Darsteller hier ihre Erfahrungen einbringen konnten, um einen sehr deutschen Text anzureichern, weil sich hier unterschiedliche Positionen zu einem fordernden, dunklen Abend über die Festung Europa fügten. Man könnte das auch nennen: Integration.
Lessingtage noch bis 3.2., Infos und Karten unter www.thalia-theater.de