Hamburg . Beim nigerianischen Gastspiel „Hear Word“ im Rahmen der Lessingtage gab es Jubel und stehende Ovationen.

Das Leben als Frau ist in Nigeria kein Spaziergang. Und das auch jenseits aktueller Schrecknisse, wie sie die islamistische Boko Haram im Land verbreitet. Die ungeschönte Wahrheit über das patriarchale System zu erzählen, ist das Anliegen der Regisseurin Ifeoma Fafunwa und ihres weiblichen Ensembles iopenEye aus Lagos.

In der Europapremiere von „Hear Word! Naija Woman Talk True“, die jetzt anlässlich der Lessingtage im Thalia Theater gastierte, erzählen zehn wundervolle Darstellerinnen zu Trommelwirbeln einer Percussion-Band eigene und fremde Geschichten, unfreiwillig komische und sehr bittere.

Von lebensnahen Pointen zu unvorstellbaren Grausamkeiten

In traditionelle farbenprächtige Kostüme gehüllt, beginnen die Frauen lachend mit Marktplatzgeplänkel. Über Bürojobs und schicke Kostüme, die den Ehemännern ein Dorn im Auge sind. Über Schwiegermütter, denen fünf Enkelinnen nichts, ein männlicher Enkel aber als höchstes Gut gelten. Hier verlässt sich der Abend noch weitgehend auf seinen Show-Charakter und will das Publikum mit lebensnahen Pointen und den Mitteln der Parodie bei der Unterhaltungs-Stange halten.

Dann aber wird es ernster. Ein Ehemann verleiht seine Ehefrau unter dem eigenen Dach für eine Nacht an einen dickbäuchigen Geschäftspartner – zuerst sollte es noch die Tochter sein. Ein Onkel schwängert die minderjährige Nichte. Die Liste der für uns hierzulande unvorstellbaren Grausamkeiten in einem von Männerbegehrlichkeiten bestimmten Macht-System lässt sich beliebig fortsetzen. Und nicht selten sind es sogar die Frauen selbst, die diese „Traditionen“ an die nächste Generation weiterreichen.

Am Ende stehende Ovationen für die Nigerianerinnen – zu Recht

All das berichten die Darstellerinnen ohne große Sentimentalität. Bevor sie im dritten Teil des Abends zum Widerstand übergehen. Sie wollen sich nicht kleinkriegen lassen. Entdecken die eigene Freiheit – auch in der Solidarität. Da lässt sich die geschäftstüchtige Witwe nicht von der Sippe mit all den unehelichen Kindern des verstorbenen Ehemannes ihr Vermögen wegnehmen. Eine andere deckt die häusliche Gewalt des Gatten vor einem Familienrat auf. Eine weitere entdeckt die – in der Gesellschaft verteufelten – Freuden erfüllter weiblicher Sexualität.

Nur selten wird die Gleichförmigkeit der aufgereihten Berichte von Tanz- und Gesangs-Einlagen durchbrochen. Aber es geht an diesem Abend weniger um die Form als um den Inhalt. Der Kampfgeist, den die Frauen verströmen, ist ansteckend und ihr Selbstbewusstsein absolut mitreißend. Er richtet sich weniger an westliche Geschlechtsgenossinnen, sondern an jene des eigenen Kontinentes. Über das Erheben der eigenen Stimme geht es zunächst nicht hinaus, aber diese Stimme fordert äußerst kraftvoll überfälligen Wandel ein.

Dafür gab es am Ende im Thalia Theater zu Recht stehende Ovationen.

„Um alles in der Welt – Lessingtage 2019“ Bis 3.2., Thalia Theater und Thalia Gaußstraße, Karten unter T. 32 81 44 44: Das vollständige Programm auf der Webseite des Thalia Theaters