Hamburg. Der Pianist versteht es, im Großen Saal der Elbphilharmonie Kopf und Herz in Einklang zu bringen – trotz eifriger Frühklatscher.

Ein ganzes Klavierrecital, ausschließlich mit Werken von Johann Sebastian Bach. Das ist ziemlich mutig, um nicht zu sagen: happig, für Interpret und Publikum. Zumal, wenn in der zweiten Hälfte die Goldberg-Variationen lauern. Ein Mammutwerk von rund 80 Minuten Spieldauer, mit dem andere den kompletten Abend füllen.

Konstantin Lifschitz hat dieses puristische Programm gewagt – und gewonnen. Weil der 42-jährige Pianist es versteht, Kopf und Herz in Einklang zu bringen. Unterstützt von der lichten Akustik im Großen Saal der Elbphilharmonie, modellierte Lifschitz die Linien mit wenig Pedal und größtmöglicher Klarheit.

Pianist Lifschitz mit mit differenziertem Anschlag

Anders geht’s ja auch gar nicht in Bachs Musik, wo die Stimmen so eng verzahnt sind und sich schnell zu einem Wust verheddern. Aus dieser Klarheit heraus erkundet der Pianist den Ausdrucksgehalt der Musik. Wie in drei Präludien in C-Dur in der Mitte des ersten Teils, die ein und dieselbe Tonart in unterschiedlichen Facetten ausleuchten. Erst festlich und kraftvoll, dann eher melancholisch und schließlich behutsam voran tastend, von Lifschitz mit differenziertem Anschlag nachempfunden. Schon hier, bei den kürzeren Stücken im ersten Teil, blieb der Pianist die ganze Zeit am Flügel sitzen. Zwischenapplaus braucht er nicht, der lenkt nur ab.

Konstantin Lifschitz, der im schlichten schwarzen Hemd auftritt und überflüssige Gesten meidet, beugt sich lieber hochkonzentriert über die Tastatur und formt einen dichten Spannungsbogen. Auch nach der Pause, bei den Goldberg-Variationen, in denen er eine noch stärkere Sogkraft entfaltet.

Verspielte Passagen bis zu wirbelnder Virtuosität

Der bekennende Bach-Fan enthüllt den faszinierenden Reichtum der Musik, ihre federnden Rhythmen und kunstvoll verschlungenen Motiven, und zeichnet mit jeder neuen Veränderung den Charakterwechsel der Musik nach: Vom sanglichen Beginn, den er erstaunlich langsam nimmt, über verspielte Passagen bis zur wirbelnden Virtuosität mancher Momente, in denen seine Finger wie selbstständige Lebewesen über die Tasten krabbeln; von der majestätischen Größe bis zur verletzlichen Intimität.

Der Pianist lässt Engelsflügel flattern, wenn er im hohen Register spielt und versenkt sich mit der berühmten Variation Nr. 25 tief in die dunklen Harmonien und eine schmerzliche Chromatik, wie man sie von Bach sonst kaum kennt. Lifschitz’ Konzentration übertrug sich auf einen Großteil des Publikums, die meisten Hörer ließen sich gern gefangen nehmen.

Nur ein paar eifrige Frühklatscher mochten die leise Wiederkehr des Themas am Schluss nicht abwarten und applaudierten unbeirrt in die Spannungspause hinein. Vorboten eines gewaltigen Jubelsturms, den sich der feine Musiker mit seinem Mut, seiner Hingabe und pianistischen Meisterschaft verdient hat.