Hamburg. Schauspielerin führt durch das musikalisch-literarische Programm “Ein Wintermärchen“ – und triggert dabei reichlich Lachsalven.
Seien wir mal ehrlich. Weihnachten ist nicht nur ein Fest der Liebe, sondern auch des Zuckers. Schokolade, Kekse und Lebkuchen, wohin man schaut. Und auch die Hörnerven werden ordentlich eingebuttert. Mit Melodien und Geschichten direkt aus der Schmalzbäckerei.
Da noch ein halbwegs gesundes Maß zu finden, ist eine echte Herausforderung. Beim musikalisch-literarischen Programm „Ein Wintermärchen“ – insgesamt sechsmal im Großen Saal der Elbphilharmonie zu Gast – gelingt das über weite Strecken ziemlich gut. Der richtige Mix machts. Und dazu gehört neben der Stückauswahl vor allem auch ein Glücksfall wie Heike Makatsch als Vorleserin.
Gleich zu Beginn, zwischen der Ouvertüre zu Engelbert Humperdincks „Hänsel und Gretel“ und romantischen Variationen über „O Tannenbaum“, vom Zürcher Kammerorchester süffig gespielt, kommt sie das erste Mal zu Wort. Mit Kurt Tucholskys „Großstadt-Weihnachten“, einem Gedicht, das den Festtagstrubel als Spiel entlarvt. Auch wenn die Schauspielerin zunächst noch einen Tick nervös wirkt und die Verstärkung sich erst richtig einpegeln muss – ist ja Premiere –, so streut sie doch schon hier jene dezent ironische Note ein, die das Programm dringend braucht. Das Bühnensetting unterstreicht die liebevolle Distanz: Makatsch sitzt rechts vorne auf einem grünen, etwas altmodischen Sofa, das ihrem Part eine leicht loriotmäßige Aura verleiht.
Ein kurztaktiges und –weiliges Konzerterlebnis
Mit der Verzahnung von weihnachtlicher oder zumindest weihnachtlich anmutender Musik und humorvollen Texten inszeniert das „Wintermärchen“ ein kurztaktiges und –weiliges Konzerterlebnis; rund 80 Minuten lang und abwechslungsreich.
Das interpretatorische Niveau ist top. Albrecht Mayer – in einem, sagen wir mal, mutigen Sakko aus der Christbaumkugel-Kollektion – betört mit sahnigem Oboenton und tänzerischem Schwung, im dritten Satz aus Johann Sebastian Bachs Konzert für Oboe d’amore. Ein Instrument von aphrodisierender Wirkung übrigens, wie Mayer mit einer Anekdote aus dem kinderreichen Hause Bach andeutet.
Die Sopranistin Elisabeth Breuer zwitschert in der Arie „Let the bright Seraphim“ aus Händels Oratorium „Samson“ blitzsaubere Koloraturen, im Duett mit der exzellenten Trompeterin Anuschka Thul, und demonstriert ihre Wandlungsfähigkeit, wenn sie das Mikro zu Hand nimmt und mit zarter Stimme Weihnachtslieder wie „Maria durch ein Dornwald ging“ zirpt. Dabei verströmt ihr helles Timbre tatsächlich eine beinahe engelhafte Reinheit. Das verfehlt seine Wirkung nicht. Manches Hörerauge glitzert verdächtigt.
Geiger Daniel Hope gibt ein Rätsel auf
Daniel Hope komplettiert den namhaften Solistenreigen als letzter, er begrüßt das Publikum mit „Moin Hamburg!“ und geigt einen Satz aus Max Richters Bearbeitung der „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi. Ein poppiger Groove füllt den Saal. Hope weiß, wie es geht. Warum er allerdings ausgerechnet den Sommer ins Weihnachtsprogramm verpflanzt, bleibt ein Rätsel, ebenso wie die Frage, weshalb er später den Violinpart im langsamen Satz aus Bachs Doppelkonzert für Violine und Oboe mit Geigenschluchzern überlädt. In solchen Momenten droht das Süße ins Süßliche abzugleiten. Ein paar schlichtere Töne hätten sicher nicht geschadet, wo Bach schon dazu einlädt.
Das Zürcher Kammerorchester begleitet die Solisten präzise und mit nougatweichem Klang, abwechselnd geleitet vom Konzertmeister Gregory Ahss und Arrangeur Christoph Israel am Flügel, der in seinen Weihnachtsliedbearbeitungen nicht an satten Breitwandsounds und Glöckchenklingen spart. Aber immer, wenn die Musik wieder an der Kitschgrenze vorbei oder darüber hinaus glitscht, greift Heike Makatsch dem Programm sanft unter die Arme und führt es geschmackssicher in die Spur zurück. Mit Texten wie Erick Kästners melancholischer Kurzgeschichte „Felix holt Senf“ über einen verlorenen Sohn, mit Joachim Ringelnatz’ Gedanken über das Schenken und der naschfreudigen „Weihnachtsmaus“ von James Krüss.
Makatsch liefert den Höhepunkt des Abends
Den Höhepunkt setzt Makatsch mit Axel Hackes Kolumne „Der Laden zur letzten Hoffnung“, die vom unvermeidlichen Ritual des weihnachtlichen Last-Minute-Not-Shoppings erzählt. Wie die Schauspielerin da Stimme und Stimmung moduliert, wie sie Ton und Tempo des inneren Alarmsystems allmählich von der anfänglichen Gelassenheit über die Phase des schlechten Gewissens bis zur Ladenschlusspanik steigert, das zieht den ganzen Saal in den Bann und triggert reichlich Lachsalven. Auch und gerade bei einigen Herren der Schöpfung, die sich bei der Geschichte ertappt fühlen. Herrlich.
Über die kurze Gesangseinlage von Heike Makatsch zu Beginn, in dem Lied „Ihr Kinderlein kommet“, gehen die Meinungen dagegen auseinander. Technisch erreicht sie natürlich nicht das Niveau ihrer Solistenkollegen, manches klingt ein bisschen schief. Aber diese Mischung aus Natürlichkeit, gehauchten Tönen und einer fast chansonhaft lässigen Sprachbehandlung versprüht einen Charme, der sich wohltuend vom etwas rührseligen Pathos anderer Momente abhebt.
Gerade im Finale, bei der zweiten Portion „Stille Nacht“, ist des gut Gesüßten dann doch etwas zu viel: wenn Oboe, Geige und Sopran zusammen die Melodie schmachten und von Streicherguss mit Harfenzuckerstreuseln garniert werden. Spätestens da keimt irgendwo im Hinterkopf die Idee, dass trockenes Schwarzbrot mit einer ordentlichen Prise Salz ja auch mal ganz lecker sein kann.
Aber insgesamt ist dieser „Winterzauber“ schon eine schöne Bescherung. Für die Zugabe wird das begeisterte Publikum zum Mitsingen eingeladen und stimmt gemeinsam mit Orchester und Solisten den Klassiker „O Du Fröhliche“ an. Weihnachten kann kommen.