Hamburg. Der Abschluss des TONALi-Festivals im Großen Saal war mitnichten einwandfrei – allerdings im bestmöglichen Sinne.

„O mein Gott, sogar meine Tante ist da! Ich krieg die Krise ...“ Das Getuschel, Geflachse und Geraune schon vor dem großen Auftritt der Kleinen zeugte von Spannung und Aufregung, aber auch von Stolz und Vorfreude. Zu Recht, denn einige Dutzend Hamburger Jugendliche aus zwölf Schulklassen hatten am Sonntagabend die einmalige Chance, den Großen Saal der Elbphilharmonie mit Klang zu füllen.

Bei dieser Abschlussveranstaltung des TONALi-Festivals war es nicht einmal nötig, mit Hochbegabung zu glänzen. Die Jugendlichen mussten auch kein Instrument beherrschen, um den Saal der Elbphilharmonie zu ihrem zu machen. Mehr als das Ergebnis stand das Potenzial der Schülerinnen und Schüler im Mittelpunkt eines Raums, in dem Perfektion oft genug als gegeben gilt.

TONALi-Festival: Schüler musizieren in Elbphilharmonie bis zur Unvollendung

TONALi, gegründet 2010 von den beiden Cellisten Amadeus Templeton und Boris Matchin, versteht sich als gemeinnütziges Kultur- und Bildungsprojekt, in dessen Rahmen vor allem junge Menschen mit klassischer Musik in Berührung kommen und sie spielen, hören und organisieren dürfen. Wie üblich verwischte TONALi auch in der diesjährigen Ausgabe unter dem Titel „Die Unvollendeten“ selbst im erhabenen Saal der Elbphilharmonie die Grenzen und Hierarchien zwischen Bühne und Publikum, auf dass alles Klang werde.

„Die Unvollendeten“, das referiert zwar auf die Jugendlichen, ebenso allerdings auf das zentrale Stück des Abends, Schuberts Sinfonie Nr. 7 h-Moll D 759, die „Unvollendete“. Die nur 22 Minuten lange Sinfonie spielte das TONALi-Orchester, geleitet von Aurel Dawidiuk und begleitet von den Gründern des Berliner Trickster Orchestra Cymin Samawatie und Ketan Bhatti, an diesem Abend gleich mehrfach. Dabei wurden lose Enden neu verknüpft und Möglichkeiten der Weiterführung ausgelotet.

Perfekt sein musste hier gar nichts: Das TONALi-Abschlusskonzert in der Elbphilharmonie.
Perfekt sein musste hier gar nichts: Das TONALi-Abschlusskonzert in der Elbphilharmonie. © Amelie Heinrichs | Amelie Heinrichs

Hamburger Schüler nutzen Interaktion als Instrument

Nur vollendet wurde nichts, sollte es auch gar nicht. Der Abend war als Feier der Imperfektion angelegt mit Mut zum offenen Ende, zum Machen und Machenlassen. Einwandfrei war da wenig, beglückend umso mehr. Was ist die Jugend auch anderes als unvollendet im besten Sinne?

Den Hamburger Schülerinnen und Schülern kam am Sonntag die Rolle zu, dem Orchesterklang jenes gewisse Extra hinzuzufügen, das den Elbphilharmonie- zu einem TONALi-Abend machte. Das nötige Instrument hieß hierbei Interaktion.

Zwei Mädchen etwa sprangen in Behelfs-Tutus über die Bühne, um ein Ballett zu symbolisieren. An anderer Stelle erleuchteten einige Schüler den Instrumentalisten die Notenblätter mit Taschenlampen und ermöglichten somit ein Dunkelkonzert. In Trance versetzten die Kinder und Jugendlichen ihre Zuschauer mithilfe von erbsengefüllten Gläsern, die sie schüttelten. Immer reihum, sodass sich der Klangraum der Elbphilharmonie schwindelerregend zu drehen schien.

TONALi-Award geht in der Elbphilharmonie an improvisierendes Orchester Stegreif

Was bei TONALi passiert, das weiß zuvor niemand so ganz genau. Also besser keine Erwartungen mitbringen und den Kopf offen lassen für klangliche Welten, die sich ohnehin nicht vorausahnen lassen. Die des Orchesters Stegreif zum Beispiel, das zum Festivalabschluss den mit 25.000 Euro dotierten TONALi-Award entgegennehmen konnte.

Eine Abordnung von neun der knapp 40 Mitglieder dieses 2015 gegründeten improvisierenden Symphonieorchesters hatte sich zur Preisverleihung eingefunden und gab sogleich eine Kostprobe ihrer Gute-Laune-Musik bar jeder Noten, eines Dirigenten und Bestuhlung, ja teils sogar barfüßig.

Als Gewinner des Awards wird das Stegreif-Orchester das kommende TONALi-Jahresprojekt mit Hamburger Schülern und Bewohnern einzelner Kieze umsetzen. Diesmal im Übrigen als „Soziale Sinfonie“ in Anlehnung an Joseph Beuys’ Gedanken zur Sozialen Plastik. Klingt nach: alles, außer erwartbar.