Hamburg. Gala Othero Winter bekommt in diesem Jahr den Boy-Gobert-Preis. Eine Begegnung mit der 25-Jährigen im Schauspielhaus.

Es ist noch vor zehn Uhr morgens. In der Kantine des Schauspielhauses ist nicht viel los. Gala Othero Winter hat sich ein schlichtes Shirt übergeworfen, die langen Haare lose zusammengebunden. Das Reden und ein starker Kaffee bringen sie schnell auf Betriebstemperatur. Quirlig, lebhaft, mit den Händen tänzelnd. Immer in Bewegung. So kennt man sie. Gala Winter ist die Koboldin im Ensemble des Schauspielhauses. Mit nur 25 Jahren sammelt sie nach dem Alfred-Kerr-Preis im vergangenen Jahr ihre zweite Nachwuchs-Ehrung ein. Am 27. November erhält sie den diesjährigen Boy-Gobert-Preis der Körber-Stiftung.

Gala Othero Winter betrachtet die Auszeichnung als Preis für viele Kollegen am Schauspielhaus

Preise. Ach. Winters Blick wird kraus. „Also eigentlich beschäftige ich mich damit, das zu vergessen, auch um den Druck da rauszunehmen, der unter Umständen damit einhergeht. Grundsätzlich freut es mich aber natürlich, dass meine Arbeit diese Wertschätzung erfährt“, sagt Gala Othero Winter und lächelt ihr ebenmäßiges Gala-Winter-Lächeln. In ihrer aufrechten Bescheidenheit will sie die Anerkennung stellvertretend für viele Kollegen am Schauspielhaus verstanden wissen. „Es ändert nichts an der Arbeit und macht mich nicht zu einer besseren Schauspielerin.“

Die zierliche Darstellerin zu übersehen war am Schauspielhaus der Ära Karin Beier von Anfang an eigentlich unmöglich. Schon als Chormitglied in Katie Mitchells großem Antikenwurf „Alles Weitere kennen Sie aus dem Kino“ – damals studierte sie noch an der Hamburger Theaterakademie – ragte sie heraus. Später als freche Frida in Karin Henkels „John Gabriel Borkman“, für die sie den Alfred-Kerr-Preis erhielt, als eine von drei weiblichen „Peer Gynts“ bei Simon Stone und nicht zu vergessen in Herbert Fritschs leicht vergurktem Sternheim-Abend „Die Kassette“. Da gab es diese Szene, in der sie sich als Tochter des Hausherrn neben Bastian Reiber als Künstler auf einem säulenartigen Kamin um Kopf und Kragen redet und beide eine halsbrecherische Chaos-Choreografie hinlegen. „Wir haben uns blind auf der Bühne verstanden. Da weiß man, wenn man sich trifft, kann man Pingpong spielen miteinander. Man geht auf die Bühne und es knallt.“

Das hyperventilierende Körpertheater von Volksbühnenregisseur Fritsch ist für Gala Othero Winter eine Einladung alle Fesseln zu sprengen. „Es wird viel gelacht, aber bevor man zu den fünf Minuten Slapstick kommt, ist es eher tragisch, auch abgründig“, erzählt Gala Winter. „Komiker sind die tragischsten Figuren überhaupt.“ Fritschs Arbeitsweise steht konträr etwa zu jener von Katie Mitchell. „Bei ihr ist alles Ereignis und Intention, alles, was geschieht, löst bei den Figuren auf der Bühne eine Reaktion aus. Für manche ist dieses strenge Raster eine Korsage, für andere eine Erlösung. Es ist toll, wenn das mit so vielen unterschiedlichen Leuten aufgeht.“

Die Schauspielerin entstammt einer deutsch-italienischen Künstlerfamilie

Wer ihr Spiel noch nicht bemerkte, stolperte zumindest über den Namen der 1991 in Hessen geborenen Gala Othero Winter. Gala heißt sie nach der Ehefrau Salvador Dalís, Othero nach einer spanischen Edelhure, die eine Armada an reichen Geliebten hatte, alles Geld verspielte und mit 97 Jahren verarmt in Nizza starb. Winter entstammt einer deutsch-italienischen Künstlerfamilie, der Vater leitet als Regisseur eine Jugendtheatergruppe, die Mutter schauspielert. Unter den Vorfahren sind Sänger, Bildhauer, Musiker, Goldschmiede. Nach dem Abitur bewarb sich Gala Othero Winter an den wenigen Schulen, deren Einsendeschluss sie nicht verpasst hatte. Und landete an der Hamburger Theaterakademie. „Das tolle hier sind die Projekte mit Regiestudierenden, bei denen man mit Glück unkonventionelle Dinge ausprobieren kann, wo auch die Regie nicht am Anfang schon die Wahrheit kennt“, sagt Gala Othero Winter.

Seit der Spielzeit 2014/15 ist sie festes Ensemblemitglied am Schauspielhaus und zuständig für die jungen Mädchen, die aufmüpfigen Teenagerinnen, die gerne auch mal ein Lied singen. Das alles macht ihr Freude, bestärkt aber auch ihren Ehrgeiz. „Ich merke schon, was an mir der rote Faden ist, was Leute für eine Erwartungshaltung an meine Möglichkeiten haben“, sagt sie. „Ich möchte wissen, ob ich in andere Richtungen suchen kann. Man greift immer zu den naheliegenden Werkzeugen, weil man weiß, dass sie funktionieren.“ Bequemlichkeit ist nichts für Gala Othero Winter.

Das will sie auch bei der Boy-Gobert-Preisverleihung zeigen, einer traditionellen Preisträgeraufgabe. „Ich glaube, das wird eher klassisch, vielleicht auch komisch. Ich weiß nicht, ob jemand lacht.“ Aus Gala Winters noch schwankender Selbstgewissheit, was ihre Wirkung betrifft, spricht keine Koketterie. Derzeit probt sie mit Christoph Marthaler „Die Wehleider“ nach Maxim Gorkis „Sommergäste“. Das Energiebündel und der Choreograf der Gemächlichkeit und des Pfeifens? Kann das gut gehen? „Es ist ein anderes Tempo, an das man sich gewöhnen muss“, sagt Gala Othero Winter. „Aber es sind so viele erfahrene Kollegen dabei, die diesen Rhythmus ganz genau kennen, das hilft.“

Die eher offene Arbeitsweise, bei der es nicht um das Darstellen einer Figur geht und das Körperbetonte gefällt ihr sehr. Stellt sie aber auch vor Herausforderungen. „Es ist nicht sonderlich komisch, eine junge Frau über die Bühne zu tragen. Das funktioniert einfach besser mit einem alten Mann.“

Sie möchte „eine Unmittelbarkeit erreichen“, durchaus mit Sprachkunst, aber eben auch mit dem Körper. „Leseproben sind toll, aber indem ich Intentionen, Zustände und Figuren am Tisch wälze, komme ich nicht weit.“ Gala
Othero Winter ist eine Schnittstellensucherin. Und wenn sie anfängt, zu viel über alles nachzudenken, reagiert sie sich bei einem Punkkonzert ab. Weil das so schön den Kopf frei macht und man so tun kann, als ob einem alles egal wäre. Auch Preise.

Preisverleihung So 27.11., 11.00, Thalia Theater, Alstertor, Eintritt frei, Anmeldung: www.koerber-stiftung.de/boy-gobert-preis