Hamburg. In „Terror“ von Ferdinand von Schirach entscheidet am Ende der Zuschauer: schuldig oder nicht schuldig? Ein faszinierender Ansatz.
Ferdinand von Schirach hat mit „Terror“ das Stück der Saison geschrieben. 30 Theater führen es in dieser Spielzeit auf, bei der Hälfte der Bühnen steht die Premiere noch aus. Intelligent denkt von Schirach über die Anfälligkeit unserer Demokratie nach und darüber, was das Menschsein bedeutet. Was aber macht das Stück, in dem keine bravourösen schauspielerischen Leistungen gefordert sind und in dem auch die Sprache nicht funkelt, so attraktiv? Es ist der hier verhandelte Konflikt zwischen Recht und Moral und die Angst vor terroristischen Anschlägen, die uns seit den islamistischen Attentaten in Paris und Brüssel mehr denn je beschäftigt.
„Terror“ stellt eine Gerichtsverhandlung nach, in der im Für und Wider geklärt wird, ob der 34-jährige Lars Koch, Kampfflieger der Bundeswehr, verurteilt werden soll. Koch hat gegen seine Anweisung gehandelt, als er beschloss, ein Flugzeug mit 164 Passagieren an Bord (98 Männer, 64 Frauen, zwei Kinder) abzuschießen. Die Maschine war von Terroristen gekapert worden, die drohten, sie in die mit 70.000 Besuchern voll besetzte Allianz-Arena zu lenken. Im Stück wird also die Frage gestellt, ob man Menschenleben gegeneinander aufrechnen kann. Darf man 164 Menschen opfern, um 70.000 zu retten? Sollen moralische Vorstellungen rechtliche Verbindlichkeit besitzen? Oder soll allein das geschriebene Recht gelten? Das Stück mit dem Gerichtssaal als Theaterbühne, lässt die Zuschauer per Stimmzettel ein Urteil fällen. Jeder muss Partei ergreifen. Muss Lars Koch als vielfacher Mörder ins Gefängnis? Oder gilt die These, dass wir uns gegen Terroristen im Krieg befinden und dass ein Krieg nicht ohne Opfer geführt werden kann?
Die meisten Zuschauer wählen den Freispruch
Wie können und dürfen sich Staat und Gesellschaft gegen Selbstmordattentäter schützen? Keine Frage, dass das hochbrisant und das Theater genau der richtige Ort für solche Fragestellungen ist. In Hamburg, wo „Terror“ jetzt am Schauspielhaus aufgeführt wurde – in nur zwei Wochen Probenzeit als „Szenische Einrichtung“ ohne Regisseur – entschied sich die Mehrzahl der Zuschauer nach knapp zwei Stunden für „nicht schuldig“. 300 Zuschauer wählten Freispruch, 238 waren für eine Verurteilung. Auf der Webseite Schirachs kann man nachlesen, dass sich, rechnet man alle deutschen Theater, in denen „Terror“ gespielt wird, zusammen, 59,5 Prozent der Zuschauer für einen Freispruch entscheiden.
Ferdinand von Schirach, der das Stück vor den Attentaten von Paris und Brüssel geschrieben hat, ist Strafverteidiger und ein erfolgreicher Autor. Mit „Terror“ wirft er auch für Laien sehr verständlich eine der klassischen Fragen der Rechtsphilosophie auf. Schnell gerät man als Zuschauer in die Zwickmühle, dass Koch wohl rein rechtlich nicht korrekt gehandelt hat, moralisch aber schon. Gut und Böse, Gehorsam und gesunder Menschenverstand werden gegeneinander abgewogen. Gibt es Situationen in unserem Leben, in denen es richtig und klug ist, Menschen zu töten? An diesem Theaterabend kann man sich nicht bequem zurücklehnen und bespaßen lassen. Hier wird man gefordert. Und das ist gut.
Ein fesselndes Stück mit drögen Schauspielern
Zwar agieren die Schauspieler recht dröge, obwohl sich doch auch ein Gerichtssaal als Bühne glänzend eignet, aber das Stück fesselt. Markus John als Verteidiger führt seine Argumente mit gesundem Menschenverstand vor. Und Jonas Hien ist als Angeklagter Koch der Überzeugendste – geradeheraus, nachdenklich und doch selbstgewiss. Und, als einer der Wenigen, ohne Texthänger. Anja Lais’ Richterin gibt sich forsch. Gala Othero Winter ist als Witwe und Nebenklägerin hart zu sich und der Welt, Andreas Grötzinger gibt einen knackigen Militärmann. Karoline Bär wirkt leider als Staatsanwältin völlig unglaubwürdig. Rehäugig schaut sie in die Menge, unsicher, ob es jetzt der Text ist oder ein Argument, das nicht so ganz passt. Insgesamt aber ein sehr gelungener Abend.
„Terror“, wieder am 18.4., 7./8. 5. im Schauspielhaus, Karten kosten zwischen neun und 29 Euro, Tel. 24 87 13