Historiker Volker Ullrich beschreibt in seinem Buch „Die Jahre des Aufstiegs“ die erstaunliche Metamorphose des jungen Adolf Hitler vom unsicheren Kriegsheimkehrer zum selbstbewussten Agitator.

Berlin. Über Adolf Hitler scheint schon alles gesagt und geschrieben. Jeder Aspekt seines Lebens wurde ausgeleuchtet, verfilmt, analysiert. Und doch hält das Interesse an dem „großen Unheilbringer der deutschen Geschichte“ auch fast 70 Jahre nach seinem Tod unvermindert an. Der renommierte „Zeit“-Autor und studierte Historiker Volker Ullrich unternimmt jetzt einen weiteren, breit angelegten Versuch, den rätselhaften und zutiefst verstörenden Charakter Hitlers zu fassen. Im gerade erschienenen ersten Band seiner Hitler-Biografie verfolgt er „Die Jahre des Aufstiegs“ des Diktators bis 1939.

Es ist eine Herausforderung, liegen doch mit den Hitler-Biografien Joachim Fests und Ian Kershaws zwei Meisterwerke vor, an denen Ullrich sich wird messen lassen müssen. Der Autor versucht einen eigenen Ansatz, indem er mehr als seine Vorgänger die Persönlichkeit Hitlers in den Mittelpunkt stellt und dabei auch dem Privatmenschen mehr Raum gibt. Der Ansicht mancher Historiker, Hitler habe gar kein Privatleben gehabt, tritt Ullrich entschieden entgegen, ja er bezeichnet diesen Glauben als Teil des bewusst inszenierten „Führer-Mythos'“, dem man damit immer noch auf den Leim ginge.

Der Biograf hat zahlreiche, in den Archiven noch kaum ausgewertete Quellen benutzt. Darunter sind zum Beispiel die Privatbriefe des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß oder die Notizen des frühen Wegbegleiters und späteren Pressechefs der NSDAP Ernst Hanfstaengl. Immer wieder haben sich Historiker darüber gewundert, dass eine so durchschnittliche Persönlichkeit wie Hitler eine so fatale Rolle in der Geschichte spielen konnte. Doch Ullrich bestreitet, dass Hitler ein Mann ohne Talente war. Seine außerordentliche Redegabe wird denn auch allgemein anerkannt. So nannte Hanfstaengl Hitler einen „Virtuosen auf der Klaviatur der Massenseele“.

Der Autor zeigt überzeugend, wie der unsichere, blasse Kriegsheimkehrer in wenigen Jahren in der rechten Szene Münchens zum selbstbewussten, begnadeten Agitator aufstieg, der seine Macht über Menschen genoss. Hitler traf den Nerv der Zeit und er nutzte die Gunst der Stunde. Nach Ansicht Ullrichs war es die Mischung aus „rhetorischer Überwältigungsmacht, trickreicher Verstellungskunst und taktischer Schläue“, der Hitler seinen sagenhaften Aufstieg verdankte. Seine taktische Meisterleistung lieferte der begabte Schauspieler in der Endphase der Weimarer Republik.

Irritierende Widersprüche auch privat

Im Intrigantenstadl und Geschachere um den greisen Reichspräsidenten Hindenburg trickste er alle konservativen Widersacher aus. Berühmt ist der Ausspruch seines Bündnispartners und Vizekanzlers Franz von Papen, er habe sich gegen den NSDAP-Chef „engagiert“: „In zwei Monaten haben wir Hitler in die Ecke gedrückt, dass er quietscht.“ Tatsächlich jedoch hatte Hitler Hindenburg längst um den Finger gewickelt und von Papen zur Marionette degradiert. Auch privat zeigte Hitler irritierende Widersprüche. Er konnte ebenso als gütiger Hausvater auftreten wie kalt, schneidend und distanzierend sein.

Der Diktator hielt sein Privatleben vor der Öffentlichkeit streng geheim, so schossen nach dem Krieg die Spekulationen ins Kraut, etwa über eine angebliche Homosexualität. Tatsächlich war der Privatmann Hitler, wie das Kapitel „Die Berghof-Gesellschaft“ zeigt, eine Mischung aus Bohemien und Kleinbürger. Spektakulär war das alles nicht. Auch seine Beziehung zu Eva Braun, meint Ullrich, war wahrscheinlich weit normaler und durchschnittlicher als vermutet.

Wie der Autor selbst schreibt, wird sich das Phänomen Hitler wohl nie ganz ergründen lassen: „Es wird immer ein unerklärbarer Rest bleiben.“ Doch ohne sich allzu sehr auf gewagte psychologische Erklärungsmuster einzulassen, gelingt Ullrich in der engen Verzahnung von Persönlichem und Politischem eine überzeugende Annäherung, und das in einer gut lesbaren, eingängigen Sprache.