Die 400 von Alfred Rosenberg handgeschriebenen Seiten waren nach dem Kriegsverbrecherprozess von Nürnberg verschwunden. US-Behörden haben sie nun entdeckt. Schrift gibt Einblicke in Hitlers Ideologie.
Wilmington. Amerikanische Behörden haben die seit mehr als 60 Jahren verschollenen Tagebücher des Hitler-Vertrauten Alfred Rosenberg aufgespürt. Die rund 400 handbeschriebenen Seiten würden einen weiteren Einblick in „eines der größten Unrechte unserer menschlichen Geschichte“ gewähren, sagte der Chef der US-Zollbehörde ICE, John Morton, bei der Vorstellung des spektakulären Funds am Donnerstag in Wilmington (US-Bundesstaat Delaware). Die Papiere sollen an das Holocaust-Museum in Washington gehen und dort der Wissenschaft zur Verfügung gestellt werden.
Rosenberg galt als enger Vertrauter von Adolf Hitler, prägte mit seinen Schriften die Rassentheorien der Nationalsozialisten und war als Reichsminister für die besetzten Ostgebiete für die Ermordung von Millionen Juden verantwortlich. Außerdem war er maßgeblich am systematischen Raub von Kulturgütern in Osteuropa beteiligt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Rosenberg im Kriegsverbrecherprozess von Nürnberg zum Tode verurteilt und 1946 hingerichtet. Für den Prozess dienten die Papiere als Beweismittel. Danach galten die Tagebücher als verschwunden.
Nach Angaben der US-Zollbehörde befanden sich die Aufzeichnungen im Besitz des deutschen Anwalts Robert Kempner, der während des Krieges in die USA geflohen war und später bei den Nürnberger Prozessen als US-Ankläger arbeitete. Anschließend habe Kempner unerlaubt Nazi-Dokumente zurück in die USA gebracht.
Berichte über Abendessen mit Hitler
Die Verantwortlichen zeigten sich von der Echtheit des Einzelstücks überzeugt. Die persönlichen Aufzeichnungen sollen laut dem Washingtoner Holocaust Museum neue Einblicke in Treffen Rosenbergs mit Hitler sowie anderen Nazi-Größen geben. So schreibt Rosenberg in dichter Kursivschrift am 2. April 1942 über ein Abendessen mit Hitler und zitiert ihn so: „Rosenberg, jetzt ist Ihre große Stunde gekommen“.
Die Texte, die von 1934 bis 1944 entstanden sein sollen, geben zudem Aufschlüsse über Pläne zur Massenvernichtung der Juden in Europa und über die Dynamik im Nazi-Führungszirkel. So schreibt Rosenberg beispielsweise euphorisch über eine Konferenz zur Vernichtung der Juden. „Wir glauben, dass Teile dieser Materialen die geschriebene Geschichte widerlegen“, sagte der Archivar Henry Mayer vom Holocaust Museum, ohne allerdings Details zu nennen.
Das Interesse an der Präsentation am Donnerstag war sehr groß. Ein Dutzend Fernsehkameras waren auf John Morton, dem Direktor der US-Zollbehörde gerichtet, als er verkündete: „Wir haben eines der größten Rätsel der Nachkriegsgeschichte gelöst“. Die Aufzeichnungen böten einen Einblick „in den Geist einer dunklen Seele“. Rosenberg habe es nicht geschafft, all seine Geheimnisse mit ins Grab zu nehmen.
Robert Kempner, einer der Ankläger bei den Nürnberger Prozessen, soll die Dokumente in die USA geschmuggelt und dort unter Verschluss gehalten haben. Nach seinem Tod waren die einmaligen Texte aus seinem Nachlass verschwunden. Eine abenteuerliche Spurensuche über 17 Jahre hinweg führte die Forscher des Holocaust Museums zu einem Freund von Kempners Sekretär im US-Staat New York, wo die Tagebücher Anfang April gefunden wurden.
Tagebücher sollen ins Museum
Die Schriften gehören nun der US-Regierung und sollen bald an das Holocaust Museum in Washington übergeben werden, das sie wissenschaftlich auswerten will.
Der Baltendeutsche Alfred Rosenberg wurde 1893 im heutigen Tallinn in Estland geboren und kam 1918 nach München, wo er Bekanntschaft mit Hitler machte. Rosenberg gehörte zum inneren Führungszirkel der NSDAP, organisierte den Kunstraub der Nazis und war Minister für die „besetzten Ostgebiete“. Die Ankläger beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess bezeichneten ihn als „Hitlers Weltanschauungschef“, der „die Lehre des Hasses schuf, die den Anstoß zur Vernichtung des Judentums“ gab. Rosenburg wurde zum Tode verurteilt und 1946 hingerichtet.