Berlin. Der Schauspieler im Gespräch über seinen neuen Film „Wochenendrebellen“ – und nervige Diskussionen über politisch korrekte Besetzungen.
Seit er Vater ist, will Florian David Fitz eigentlich etwas kürzer treten. Gelingt aber nicht ganz. Erst vor wenigen Monaten lief „Oskars Kleid“, wo er den Vater eines Jungen spielte, der lieber ein Mädchen sein will. Kommenden Donnerstag nun startet „Wochenendrebellen“, wo der Schauspieler wieder einen Vater spielt – diesmal den eines autistischen Sohns. Und wieder muss der 48-Jährige dafür auf Promo- und Premierentour gehen. Wir sprachen ihn im Hotel Dorint.
Erst „Oskars Kleid“, nun „Wochenendrebellen“. Wollten Sie nicht kürzer treten?
Florian David Fitz: Ja, ich hatte mir das auch anders vorgestellt! (lacht) Manchmal hat man das halt nur bedingt unter Kontrolle. Filme sind oft ewig in der Schwebe. Bis das Buch stimmt. Bis das Geld da ist. Und plötzlich setzen sich dann alle Vögel auf einen Ast. Es geht auch schon alles, auch zuhause. Das Zeitkonto, das halt etwas leidet, ist mein eigenes. Warten wir mal. Bald bin ich 50, vielleicht lerne ich ja dazu.
Schon wieder spielen Sie einen überforderten Vater. Suchen Sie solche Themen, seit Sie Vater sind, oder suchen solche Themen Sie?
Nein, das ist reiner Zufall. „Oskars Kleid“ entstand, noch bevor ich Kinder hatte. Und am Ende ist es ganz einfach: Ich suche nach interessanten Geschichten, die was über uns Menschen in unterschiedlichsten Situationen erzählen und die meinen emotionalen Horizont erweitern. Bei „Oskar“ kam die Idee von mir. Und die ist mir ja einfach zugeflogen, über ein Foto von einem Vater und einem Sohn im Kleid. Und hier ist die Sache noch mal anders: Das ist eine wahre Geschichte, diese Leute gibt es wirklich. Ein Vater, der mit seinem autistischen Sohn die ganze Bundesliga abgrast, um einen Lieblingsverein zu finden. Aber was stimmt, ist, dass beide Filme aus der Perspektive der Eltern erzählt werden. Was macht man in so einer Situation? Wenn das Kind sagt, dass es trans ist, oder in diesem Fall autistisch ist.
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Wieviel wussten Sie vorher von Autismus?
Ich finde, man weiß relativ viel. Auch wenn das natürlich nur Laienwissen ist. Das erste Mal, wo wir alle davon erfahren haben, war wohl auch im Kino, mit „Rain Man“. Ich musste aber jetzt lernen, dass das auch Vorurteile ausgelöst hat, wenn auch positive, gegen die man ankämpfen muss: dass eben nicht jeder Autist ein Genie ist. Interessant finde ich dabei die Frage, wo die Trennlinie ist: Wann ist jemand nur nerdig oder eigenartig, und wann nimmt man das als Autismus wahr? Deshalb spricht man heute eher von einem Spektrum oder einer Schattierungsfrage. Aber es geht halt immer da los, wo es das eigene Leben zunehmend behindert.
Wie intensiv war die Zusammenarbeit mit den realen Vorbildern, Mirco und Jason von Juternczenka, die auch das gleichnamige Erfahrungsbuch schrieben?
Die intensivsten Gespräche hat natürlich vorab der Drehbuchautor Richard Kropf mit ihnen geführt. Er hat das Buch gelesen, wollte daraus einen Film machen und musste viel mit den beiden reden. Weil sie noch gar nicht wussten, ob sie das wollten. Film ist halt ein ganz anderes Medium, da erzählst du eine Geschichte. Natürlich musst du den Kern der Sache treffen, aber ein Film muss auch eine Dramaturgie und einen Spannungsbogen haben. Da haben sie sich lange ausgetauscht. Ich kam dann in den Prozess hinein, um genau diese Fragen zu erörtern. Das ging immer nur in direkter Absprache mit Mirco und Jason. Da gab es wohl viele Mails und Kommentare, vor allem von Jason. Sehr lange. Sehr, sehr lange Mails. (lacht)
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Hat man da noch eine andere Verantwortung, wenn man weiß, man spielt reale Vorbilder, die den Film dann auch beurteilen?
Das ist anders als bei historischen Figuren. In „Die Vermessung der Welt“ habe ich den Mathematiker Carl Friedrich Gaus gespielt, aber niemand weiß genau, wie der aussah oder sich verhalten hat. Als ich in „Kästner und der kleine Dienstag“ Erich Kästner gespielt habe, fand ich schon, dass ich hätte sächseln müssen, weil es Teil seiner Identität war. Aber das macht man heute nicht mehr im deutschen Kino. Hier haben wir aber keine historischen und auch keine bekannten Figuren. Da geht es nicht darum, eine Ähnlichkeit herzustellen, sondern den Kern zu treffen. Ein Vater macht sich mit seinem Sohn auf eine Reise: Diese Geschichte ist ganz stark. Insofern habe ich das nicht als Druck empfunden, eher positiv, dass man immer jemanden hatte, der Einspruch erheben konnte, den man aber auch fragen konnte. Dieses Feedback fand ich sehr bereichernd.
Sie spielen wieder einen Vater, der sich mit der Thematik anfangs gar nicht befassen will und dann eine Wandlung durchläuft. Ist das das Identifikationsangebot ans Publikum, sich diesem Thema zu nähern?
Klar, auch. Aber das ist eben auch die Dramaturgie, von der ich sprach. Es gibt Filme, in denen sich nichts bewegt, aber das wird schnell fad. Filme brauchen Veränderung. Jemand, der auf einem Spektrum ist, wird sich indes per se nicht verändern, das ist ja Teil des Problems. Und es war Mirco und Jason auch ganz wichtig, dass wir bitte nicht erzählen, das wäre heilbar. Also muss der Vater eine Wandlung durchmachen. Das lag in der Familie schon drin, das haben wir nur noch akzentuiert. Dass der Vater sich anfangs nicht so mit dem Problem befassen will und das seiner Frau überlässt. Dass er sich sogar in seine Arbeit flüchtet und mehr Zeit als nötig damit verbringt. Ich fürchte, das tun viele Männer so, und nicht nur bei autistischen Kindern. Manche sind auch so von ihren Kindern überfordert. Und Geldverdienen ist halt immer ein Argument. Aber hier stellt sich ein Vater dem Problem. Und fährt mit seinem Sohn Wochenende für Wochenende zu jedem Fußballverein.
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Was ja, so viel ich weiß, nicht unbedingt Ihr Lieblingssport ist.
Ich bin wahrscheinlich in ganz Deutschland der ungeeignetste Schauspieler für diese Rolle. (lacht). Aber das ist ja das Tolle am Filmemachen: Man darf in ein anderes Leben einsteigen. Und auch hier gab es was zu entdecken. Dass es für Menschen total heilsam sein kann, mal nicht im Mittelpunkt zu stehen, sondern Teil einer größeren Sache zu sein. Sich selbst auf positive Weise für einen Moment verlieren. Und sei es für ein Spiel. Das ist doch für uns alle total wichtig. Trotzdem brauche ich immer noch fünf Minuten nach der Halbzeit, um zu checken, dass die eine Mannschaft dann auf der anderen Seite spielt.
Ihre Karriere hat eine entscheidende Wendung durch „Vincent will Meer“ genommen. Da spielten Sie einen jungen Mann mit Tourette-Syndrom. Wieder so ein Grenzgang zwischen verhaltensauffällig oder…
Behindert? Ich tu' mich auch schwer mit diesen Begrifflichkeiten, man will ja niemanden verletzen. Aber Mirco sagt immer, das ist eine Behinderung, eine, die du nicht sehen kannst. Ja, vielleicht korrespondieren die Filme miteinander. Denn am Ende geht es immer darum, wie die Gesellschaft damit umgeht. Auch wenn das Problem hier genau andersherum liegt. Tourette ist verhaltensauffällig. Da wussten die meisten nur lange nicht, was das ist, und hielten die Betroffenen für zurückgeblieben. Bei Autismus aber bemerkt man erst mal nichts und versteht nicht, wieso sich die Betroffenen so verhalten. Das macht es auf andere Art schwierig. Das hat mir Jason ganz oft gesagt: Du siehst es nicht, das ist kein Rollstuhl, da musst du ganz viel erklären. Das ist eine ganz andere Herausforderung.
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Sie sind seit „Vincent will Meer“ Schirmherr beim ITTS, dem Interessenverband Tic & Tourette-Syndrom. Trotzdem: Könnten Sie diesen Vincent heute noch so spielen?
Wenn der Wunsch ist, dass nur noch jeder seine eigene Geschichte erzählen darf, dann haben wir ein Problem. Wenn jedes Hineinversetzen eine Anmaßung ist, dann können alle Schauspieler direkt aufs Arbeitsamt. Dann müssen wir eigentlich aufhören mit dem Geschichtenerzählen. Denn das ist doch genau, was wir machen: Wir stellen uns ein anderes Leben vor. Das gelingt mal besser und mal schlechter. Aber das ist die grundsätzlichste menschliche Fähigkeit, unsere Spiegelneuronen einzusetzen und uns einzufühlen, wie andere fühlen. Wenn wir damit aufhören, erreichen wir genau das Gegenteil davon, was erreicht werden soll.
Dennoch: Hat man jetzt Scheuklappen, denkt man sowas bei Rollenangeboten mit? Eddie Redmayne bedauert heute, in „The Danish Girl“ einen Transsexuellen gespielt zu haben. Und Bradley Cooper erntete einen Shitstorm, weil er Leonard Bernstein mit einer Nasenprothese gespielt hat.
An der Stelle steige ich wirklich aus. Wo doch Bernsteins Kinder selbst Cooper beigestanden haben. Wenn die Welt jetzt nur noch durch solche Filter schaut, ist das, wie wenn man das Eckige ins Runde hämmert. Leider geht da ganz viel Energie verloren, wo es doch an so vielen anderen Ecken wirklich brennt. Wir drehen uns da in etwas hinein, was uns nicht hilft. Während die Schamlosen auf der anderen Seite sich die Hände reiben. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Ja, das denkt man schon mit. Mir wurde kürzlich eine tolle Serie über einen Palästinenser angeboten. Aber den konnte ich wirklich nicht spielen, ich bin nun mal klar Mitteleuropäer. Der böse Witz ist, dass bestimmte Projekte dann nicht unbedingt von geeigneteren Schauspielern gespielt werden, sondern manchmal gar nicht erst zustande kommen, weil man für die Finanzierung ein Zugpferd braucht. Es spielen halt viele Parameter eine Rolle. Es ist sicher gut, wenn das mal durchgemischt wird, aber eine neue Balance ist noch nicht gefunden. Da stochern wir noch etwas rum.