Berlin. Eine reife Fischerin verliebt sich in ihren jungen Azubi: „Wild wie das Meer“ besticht durch seine Hauptdarstellerin Cécile de France.
Sie könnte seine Mutter sein. Und sie ist anfangs durchaus nicht begeistert von dem Bürschchen. Chiara (Cécile de France) ist Fischerin auf einer kleinen Insel vor Frankreichs Atlantikküste und weiß bei dem harten Handwerk anzupacken. Das hat sie von Antoine (Grégorie Monsaingeon), mit dem sie seit 19 Jahren verheiratet ist, gelernt.
Ihr neuer Auszubildender Maxence (Félix Lefebvre) ist dagegen aus reichem, aus sehr reichem Haus. Dem schon bei der Überfahrt mit der Fähre schlecht wird und erst recht beim ersten Fischfang auf stürmischer See. Deshalb ist Chiara mehr als skeptisch über das Bürgerbübchen, das offensichtlich noch nicht weiß, was es will.
Ein Film, der viele Konventionen erfrischend über Bord wirft
Aber der junge Mann hat Charme, dem alle auf der Insel erliegen. Und bald auch sie selbst. Wobei die Gefühle von Chiara, die keine eigenen Kinder hat, keineswegs mütterlich sind. Anfangs verbietet sie sich ihr Begehren noch. Obwohl sich auch Maxence zu ihr hingezogen fühlt.
Als sie sich das erste Mal näher kommen, bricht sie das noch brüsk ab: „Ich bin eine verheiratete Frau!“ Aber schließlich lässt sie es doch zu, sucht es sogar. Und als ihr Mann für Verhandlungen über Fischfangquoten für längere Zeit aufs Festland muss und sie ganz allein mit Maxence ist, lässt sie ihren Gefühlen freien Lauf.
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Reife Frau und jüngerer Mann: Diese Paarkonstellation ist momentan ein häufiger Topos im europäischen Kino. Das wurde vielleicht auch Zeit, hat man das doch Jahrzehnte lang zur Genüge mit älteren Männern gesehen. Erst vor zwei Monaten startete „Im Herzen jung“, in dem Fanny Ardant als 70-Jährige sich in einen 25 Jahre jüngeren Arzt verliebte.
Doch meist geht es um Frauen in mittleren Jahren und sehr viel jungere Männer, gerade der Jugend entsprungen und noch eher unerfahren: wie Trine Dyrholm in „Königin“ (2019),Sophie Rois in „A E I O U – Das schnelle Alphabet der Liebe“ (2022). Und jetzt auch Cécile de France. In „Im Herzen jung“ spielte sie noch die Ehefrau, die für die Ältere verlassen wurde. In „Wild wie das Meer“, der am Donnerstag in die deutschen Kinos kommt, ist sie diejenige, die alle Konventionen über Bord wirft.
Quasidokumentarisch wird das harte Handwerk der Fischer gezeigt
„Wild wie das Meer“ ist das Spielfilmdebüt von Héloïse Pelloquet, die ebenfalls Kinokonventionen und gängige Klischees bewusst umschifft. Die raue, stürmische See dient hier nicht nur als symbolische Kulisse für die Brandung der Gefühle. Es geht der jungen Filmemacherin um eine authentische Darstellung der harten Bedingungen des Fischfangs. Quasidokumentarisch wird hier gezeigt, wie fordernd der Beruf ist und wie hart das Fischerpaar anpacken muss.
Pelloquet hat dafür in ihrer eigenen Heimat, auf der Insel Noirmoutier gedreht, und Statistenrollen mit Laien besetzt, die hier nicht spielen, sondern ihrem wirklichen Beruf nachgehen, was den Film noch authentischer macht. Auch die existenzielle Bedrohung der Fischer durch Sturmschäden kommt hier zur Sprache und die mühsamen Verhandlungen um Fangquoten nach dem Brexit, was den Film auch zeitlich klar verortet.
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Aber auch was das Liebesdrama anbelangt, kommt die Filmdebütantin nicht mit küchenpsychologischen Erklärungsmustern daher. Chiaras Ehe mit Antoine ist keinesfalls unglücklich, auch mit ihm hat sie noch immer Sex. Schade nur, dass der deutsche Verleih mit seinem Filmtitel dann doch ein plakatives Klischee ausbreitet.
Im Original heißt der Film schlicht „La passagère“, die Durchreisende also. Das passt viel besser. Denn Chiara, eine Belgierin mit italienischen Wurzeln, hat einst auf der Fähre ihren Mann kennengelernt. Ist ihm auf seine Insel gefolgt. Hat seinen Beruf erlernt. Und einen vermeintlich sicheren Hafen gefunden.
Eben noch Teil der Gemeinschaft, plötzlich angefeindet und ausgestoßen
Doch all diese Sicherheiten werden plötzlich aufgeweicht und infrage gestellt. Denn auf einer kleinen Insel lässt sich eine solche Affäre nicht lange verbergen. Ihr Mann ist noch nicht zurück, da wenden sich die Anwohner, die Chiara für ihre besten Freunde hält, brüsk gegen sie. Die Erwachsenen schneiden sie, deren Kinder aber schmähen sie, werfen gar mit Steinen. Eben noch assimiliert und Teil der Gemeinschaft, ist Chiara wieder die Fremde, wird sie angefeindet und ausgestoßen.
So authentisch Héloïse Pelloquet ihren Film inszeniert hat, der teilweise fast dokumentarisch wirkt, lebt „La Passagère“ doch ganz von seiner Hauptdarstellerin. Auch Cécile de France ist ja eine, die sich gängigen Klischees stets verwahrt hat und ihren Star-Status durch andere, moderne Frauenfiguren erspielt hat.
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Auch hier taucht sie ganz in ihre Figur der Fischersfrau ein, zeigt sich dabei uneitel ungeschminkt, müde und abgekämpft, hierein vergleichbar Juliette Binoche als Putzfrau in „Wie im echten Leben“. Ihre Chiara bleibt nicht nur für die Inselbewohnern, sondern auch für die Kinozuschauer immer ein bisschen rätselhaft und unvorhersehbar, was aber einen großen Reiz des Films ausmacht.
Und wie sie sich dann doch in diesen Jüngling verliebt, lässt sich allein in ihrer Mimik und ihrem Blick ablesen. Als Maxence auf einer Hochzeitsfeier ein Ständchen mit seiner Oboe spielt, verweilt die Kamera lange auf ihrem Gesicht, da wird die Wandlung aufregend greifbar.
Kein Liebesfilm, sondern eine packende Emanzipationsgeschichte
Am Ende zählt nicht, ob eine solche angefeindete Affäre gutgehen könnte. Sondern nur, dass die Durchreisende auf ihrem Weg, auf ihrem Kurs bleibt. Immer ist sie frei und selbstbestimmt, eine femme libre. Und selbst als ihr einmal jemand die Zigarette anzünden will, nimmt sie sich das Feuerzeug und macht es selbst.
Diese Frau braucht keine Hilfe, auch keine Höflichkeit. Sie pfeift auf normatives Verhalten. Und wenn das Umfeld zu kleingeistig ist, kappt sie die Anker. Letztlich ist „Wild wie das Meer“ keine Liebesgeschichte, auch kein „Gap-Age“-Drama, wie das neudeutsch heißt, sondern eine packende Emanzipationsgeschichte.
Drama, Frankreich 2023, mit Cécile de France, Félix Lefebvre, Grégorie Monsaingeon