Berlin/München. Schauspielerin Senta Berger über ihren neuen Film „Weißt du noch“, über gemeinsames Älterwerden und den Wandel des Männlichkeitsbilds.
Gemeinsam alt werden, davon träumen viele Paare. Senta Berger hat es geschafft. Die 82-jährige Grande Dame des deutschen Films ist mit ihrer großen Liebe, dem Regisseur Michael Verhoeven (85), verheiratet. Die beiden haben zwei Söhne, 44 und 51 Jahre alt, und führen seit mehr als einem halben Jahrhundert – kommende Woche ist ihr 57. Hochzeitstag – eine skandalfreie Ehe. Weniger geräuschlos geht es dagegen in ihrem neuen Film „Weißt du noch“ zu. Unter der Regie von Rainer Kaufmann spielen Senta Berger und Günther Maria Halmer das in die Jahre gekommen Ehepaar Marianne und Günter, dem der liebevolle Umgang miteinander abhandengekommen ist. Im Gespräch verrät die Schauspielerin, dass sie einen Mann wie Günther wohl abblitzen lassen würde. Und sie weiß, was das A und O einer langen Liebe ist.
Frau Berger, in „Weißt du noch“ nimmt sich ein Ehepaar Erinnerungspillen, um sich an frühere, glückliche Zeiten zu erinnern. Würden Sie auch so eine Pille nehmen?
Senta Berger: Im Film ist das ein guter Trick unseres Drehbuchautors, um daraus eine Komödie mit einem ernsten Hintergrund zu machen. Aber ich brauche so eine Pille nicht. Außerdem hasse ich alles, was bewusstseinsverändernd ist, außer vielleicht mal ein Glas Wein. Ich erinnere mich zu meiner eigenen Verwunderung an viele Dinge aus meiner frühesten Kindheit. Ich habe meine Mutter gefragt, war das wirklich so. Sie war ganz erstaunt und sagte: „Wie kannst du dich daran erinnern? Du warst noch nicht einmal vier.“ Mag sein, dass die Kriegserlebnisse so überwältigend waren, dass ich mich sehr gut an diese Stunden im Keller erinnern kann, aber auch an schöne Dinge. Ich erinnere mich an das Wetter, an einen Geruch oder Geschmack. Und an meinen Geburtstagstisch, als ich drei war, was offensichtlich ungewöhnlich ist. Vielleicht ist es so, weil Frauen besser beobachten. Sogar kleine Mädchen.
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Vergesslichkeit im Alter, das ist eines der Themen in Ihrem Film. Sollte man darüber auch gesellschaftlich mehr diskutieren?
Ich habe das Gefühl, es wird viel zu viel über Demenz diskutiert. Auch viele Filme handeln davon. Als wäre es das einzig Interessante am Alter, über das man berichten kann. Vergesslichkeit ist noch lange keine Demenz und auch nicht deren Anfang. Es ist einfach eine Überlastung und Konzentrationsschwäche. Ich finde das ganz normal. Im Film hat Günter Angst, er könnte unter Umständen am Anfang einer Demenz stehen, weil er so viele alltägliche Dinge vergisst. Marianne verwendet das als kleine Spitze gegen ihn. Sie erwartet von ihm mehr körperliche und geistige Beweglichkeit. Auch aus Egoismus. Natürlich will sie schöne Erlebnisse mit ihm teilen, mit ihm reisen oder ein Konzert besuchen. Aber er sitzt auf dem Sofa, ist resigniert und denkt über seine Versäumnisse nach. Aber es ist eben auch eine Geschichte, die auch viele jüngere Paare betrifft.
Inwiefern?
Wir hatten ein ziemlich junges Team hinter der Kamera, was in unserem Alter ja nicht schwer ist. Von ihnen haben wir oft gehört: „Ja. Das kenne ich. Das sagt sie auch immer zu mir.“ Es ist eine Geschichte über Paare und Zusammenleben, über Toleranz und Verständnis.
Günther Maria Halmer spielt einen Mann alten Schlages, einen Besserwisser, der groß ist in Schuldzuweisungen und ätzenden Bemerkungen. Dürfte sich der Film-Günter bei Senta Berger auch so benehmen?
Nein. Das ist natürlich nicht meine Vorstellung von einem Mann oder einer Ehe. Es gibt solche Männer. Aber ich weiß nicht, ob das ein Grund wäre, sich so spät im Leben scheiden zu lassen. Ich kenne ganz wenige Männer und Frauen, die sich zwischen 70 und 80 zutrauen, zu gehen und ein neues Leben anzufangen. Vielleicht wäre das auch verkehrt. Vielleicht sollte man nur die Art und Weise ändern, wie man zusammenlebt. Das kostet natürlich Überwindung und vor allem ein Bewusstsein dafür, das viele Menschen gar nicht haben. Aber in unserem Film geht es so aus, dass er sich gerade durch die Erinnerungen um sie bemüht. Das merkt sie.
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Es gibt ja auch jüngere Männer, die so sind wie Günter, die Frauen gern etwas klein machen. Wie muss ein Mann denn heute sein, damit eine Beziehung funktionieren kann?
Die Gesellschaft ändert sich gerade. Es gibt eine ganz neue Generation von Männern. Das hat sicherlich auch mit dem wachsenden Selbstbewusstsein der Frauen zu tun, dass Männer nun langsam anfangen, souverän zu sein und sich zu emanzipieren. Dann brauchen sie dieses ganze Gehabe nicht mehr. Wir reden dabei übrigens immer nur von der westlichen Welt. Der andere Teil der Welt hat andere Probleme. Ich merke es aber auch in meiner Familie. Meine Söhne sind sehr aufmerksame, respektvolle Ehemänner und haben sich Aufgaben gestellt, denen sich mein Vater nicht gestellt hätte. Er hätte niemals gewagt, einen Kinderwagen zu fahren. Geschweige denn hätte er gewusst, in welcher Klasse ich in der Schule bin. Es ändert sich sehr viel. Aber das dauert. Die Gesellschaft macht immer zwei Schritte nach vorne und geht dann einen Schritt zurück. Sonst würden wir heute nicht immer noch über Feminismus sprechen. Das war das Wort der Stunde in den Siebzigern.
Haben Sie Ihre Söhne im feministischen Sinne erzogen?
Die haben die Ehe ihrer Eltern erlebt und sich das abgeguckt. Da muss man keine Lektion erteilen. Erziehen ist sowieso vollkommen für die Katz. Du musst vorleben. Das haben wir gemacht, ohne dass dahinter eine große Absicht stand.
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Sie selbst sind seit 1966 verheiratet. Gibt es so etwas wie ein Geheimrezept für das Gelingen einer langen Ehe?
Wenn ich es wüsste, würde ich es sagen. Es gibt kein Rezept. Ist ja kein Kochbuch. Meine sehr kluge Mutter hat oft gesagt: „1000 Paare, 1000 Rezepte.“ Das stimmt. Michael und ich waren immer schon auf Augenhöhe. Er ist auch immer schon ein emanzipierter Mann gewesen, der mich zu meiner Emanzipation ermutigt hat. Was Selbstverständlichkeiten betrifft: Wenn ich höre, dass jemand an einer Beziehung arbeitet, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Das funktioniert nicht. Man ist aus Liebe selbstverständlich respektvoll. Man toleriert aus Liebe selbstverständlich manche Eigenschaft, die einem eigentlich zuwider läuft. Ohne Erotik kann man das natürlich vergessen. Es geht doch alles von der körperlichen Anziehung aus. Dann kommt langsam die Zivilisation dazu.
Sie haben nach der letzten Folge Ihrer erfolgreichen Krimireihe „Unter Verdacht“ angekündigt, dass Sie sich in Zukunft langsam von Ihrem Beruf lösen wollen. Was bedeutet das?
Der Beruf löst sich ja auch langsam von mir. Langsam lösen heißt, ich mache nicht mehr vier, fünf Filme im Jahr. Es heißt auch, ich will mit meiner Familie zusammen sein, mit meinem Mann. Und nicht mehr sechs Wochen in einer anderen Stadt sein, wo mein Mann nicht ist. Unsere Jahre sind genau wie im Film überschaubar. Wir wollen sie nützen, füllen und beieinander sein. Nun habe ich ein Drehbuch in die Hand bekommen, in dem genau das der Wunsch der Frau ist. Ein sehr gut geschriebenes Kammerspiel. Es ist wie eine Partitur. Günther und ich waren wie zwei Musiker, die einfach die Noten gespielt haben. So etwas kriegt man ganz selten im Leben als Schauspieler.
Werden Sie es privat wie Marianne machen und sagen: Ich möchte jetzt leben und den Moment genießen?
Ich muss das nicht aussprechen. Michael weiß das ja. Und das Schöne ist, dass er das auch will.