Hamburg. Uraufführung von „Dantons Tod Reloaded“ zeigt im Thalia Gaußstraße Dynamiken einer Revolution – auch mit Anspielungen auf den Iran.

Ein „No“ ist ein sehr kraftvolles Wort. Vor genau einem Jahr löste der Tod der jungen Iranerin Jina Mahsa Amini im Gewahrsam der Sittenpolizei die Protestbewegung der „Woman Life Freedom“-Bewegung aus. Sie hatte „No“ gesagt. Eine trügerische Ruhe ist seitdem eingekehrt.

Am Jahrestag flimmert das „No“ auf mehreren Bildschirmen vervielfältigt über die Bühne des Thalia in der Gaußstraße. Auf der Folie von Büchners Klassiker „Dantons Tod“ über die blutige Endphase der Französischen Revolution im Paris des Jahres 1794 – fünf Jahre nach Beginn der Aufstände – beschäftigt sich Regisseur Amir Reza Koohestani in der Uraufführung „Dantons Tod Reloaded. Freiheit Gleichheit Schwesterlichkeit“ mit den Dynamiken einer Revolutionsbewegung

Thalia Theater: Büchners Klassiker – aktuell und feministisch inszeniert

Koohestani, der mit Co-Autorin Mahin Sadri auch den Text verfasst hat, verlegt die Handlung in das Innere einer Theatertruppe, die gerade in Paris gastiert – eben mit Büchners „Dantons Tod“. Doch die Bühnentechniker streiken.

Die Mitglieder der Schauspieltruppe haben mit diesen äußeren Hindernissen zu tun – aber auch mit inneren. Eine Premierenfeier ist aus dem Ruder gelaufen. Der Danton-Darsteller, gespielt von Stefan Stern, soll gegenüber der jungen Regieassistentin übergriffig geworden sein. Und wie bei Büchner Robespierre die Lasterhaftigkeit der Dantonisten verurteilt, häufen sich die Konflikte innerhalb der Gruppe. Die von Pauline Rénevier wunderbar stringent abgeklärt gegebene Camille-Darstellerin hält zu ihrem Geliebten und hat ihre eigenen Geheimnisse.

Beunruhigende Videos aus der Heimat – die feministische Revolution nimmt Fahrt auf

Der Rest der Truppe, ihr von Oliver Mallison gespielter Vater eingeschlossen, sieht das kritischer. Nun sitzen sie alle in der kühl-minimalistischen, mit Spiegelmonitoren (Bühne: Mitra Nadjmabadi) versehenen Garderobe, streifen ihre eleganten Büchner-Anzüge über (Kostüme: Natasha Jenkins) und wechseln zwischen ihrer Alltagssituation und der originalen Büchner-Poesie, die auch in Ausschnitten ihre ganze Wucht und Kraft entfaltet.

In der Figur der von Neda Rahmanian verkörperten Lucile wird eine weitere Ebene eingezogen. Denn nach einigen beunruhigenden Videos aus der Heimat verliert sie den Kontakt zu ihrer Schwester in Teheran. Die feministische Revolution nimmt Fahrt auf.

Thalia: Regisseur Koohestani nimmt Büchner die Melodramatik zugunsten einer brennenden Aktualität

Der Abend mag mit all seinen Erzählebenen etwas überfrachtet und überfordernd wirken. Aber Koohestani hat sie sehr überlegt ineinander verschränkt und klug in die Gegenwart gezogen. Er nimmt Büchner die Melodramatik zugunsten einer brennenden Aktualität. „Die Revolution muss aufhören, und die Republik muss anfangen“, heißt es da. Doch davor steht der Tugendterror der Radikalisierten, verkörpert in der Figur des Robespierre: „Die Waffe der Republik ist der Schrecken, die Kraft der Republik ist die Tugend (…).“

Als die Entlassung eines Kompanie-Mitgliedes droht, wird es auch innerhalb der Schauspieltruppe darum gehen, wieweit die Solidarität reicht.

Der vom Ensemble herausragend gespielte Abend spielt diese Gedanken sehr präzise und geradlinig durch. Bis zu einem wirklich beklemmenden Finale. Denn bekanntlich endete die Französische Revolution in einem gigantischen Blutbad, bei der auch die Revolutionäre unter die Guillotine kamen. Die Freiheitsbewegung schlug in grausame Willkürherrschaft um.

Dies vor Augen, gehen einem an diesem lange nachwirkenden Abend auch Gedanken durch den Kopf, bezogen auf die Gegenwart der iranischen Heimat des Regisseurs. Eine Perspektive, die wenig Gutes erhoffen lässt.

„Dantons Tod Reloaded“ wieder 20./22. und 28.9., 10.10., jew. 20.00, 28.10., 19.00, Thalia in der Gaußstraße, Gaußstraße 190, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de