Darmstadt. Schreiben ist für den Lyriker und Erzähler Lutz Seiler stets aufs Neue ein Kraftakt. Für sein Werk bekommt der 60-Jährige jetzt einen der renommiertesten Literaturpreise in Deutschland.
Seine thüringische Heimat ist für den Dichter und Romancier Lutz Seiler prägend. „Für das, was ich schreibe, spielt wahrscheinlich meine Herkunftsgeschichte eine ziemlich große Rolle, also die Herkunft aus einer vom Uranbergbau verwüsteten thüringischen Landschaft“, sagte der Schriftsteller am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Für sein Werk bekommt der 60-Jährige in diesem Jahr den renommierten, mit 50.000 Euro dotierten Georg-Büchner-Preis. Dies teilte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt mit.
Von der Auszeichnung erfuhr der Schriftsteller knapp eine Woche zuvor. „Ich empfinde diesen Preis als große Ehre und als Ausdruck großer Wertschätzung für das, was ich mache im Schreiben.“
„In Lutz Seiler ehrt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung einen Autor, der mit klangvollen Gedichtbänden begann, von dort zum Erzählen fand, stets aber ein so klarer wie rätselhafter, dunkel leuchtender Lyriker bleibt, zuletzt mit "schrift für blinde riesen"“, hieß es zur Begründung von der Jury. Seiler habe als Romancier und als Dichter zu seiner eigenen, unverwechselbaren Stimme gefunden, melancholisch, dringlich, aufrichtig, voll von wunderbaren Echos aus einer langen literarischen Tradition.
Es gab schon einen Preis für den Debütroman
Der vielfach ausgezeichnete Seiler erhielt 2014 für seinen Debütroman „Kruso“ auch den Deutschen Buchpreis. Für seinen Roman “Stern 111„ bekam er 2020 den Preis der Leipziger Buchmesse. Ihn interessieren die Prozesse einer Selbstwerdung der Menschen, beschreibt der Autor seine Intention. „Wie gelangt jemand zu einer eigenen Stimme, einem selbstbestimmten Leben, oder eben auch diverse Faszinationen wie Mechanik, Radioaktivität, Erkenntnisgewinnung, diffuse Bewusstseinszustände.“ Dies alles seien Aspekte, aus denen seine Ideen kommen.
Dabei ist der 1963 in Gera geborene Seiler nach eigenen Aussagen erst spät auf die Literatur aufmerksam geworden. Nach einer Ausbildung zum Baufachmann in der DDR habe er zunächst als Zimmermann gearbeitet. Erst während seiner Zeit bei der Armee habe er angefangen zu lesen. „Das Interesse für Literatur kam relativ spät, und dann, während der Armeezeit, war das Erlebnis des Lesens, der Lektüre so einschneidend und groß, dass ich sofort auch angefangen habe zu schreiben.“ Zuerst seien es Gedichte gewesen, dann Essays, und so sei er zum Erzählen und schließlich zu den Romanen gekommen. „Man könnte schon sagen, dass es eine natürliche Entwicklung gegeben hat über die Genres, und jetzt ist es sehr schön, dass ich das alles haben darf.“
Immer neu beweisen
Das Schreiben ist dabei für ihn kein Selbstläufer. „Es kostet sehr viel Kraft und ist mit vielen Zweifeln verbunden, wenn man eine neue Sache anfängt. Im Grunde hat man nicht dieses kontinuierliche Selbstvertrauen, dass man schreiben kann, man muss es sich mit jedem Buch neu beweisen“, sagte Seiler, der in Halle Geschichte und Germanistik studierte. Seit 1994 arbeitet er freiberuflich als Schriftsteller. Der Vater von drei erwachsenen Kindern lebt mit seiner schwedischen Frau in Stockholm und im brandenburgischen Wilhelmshorst, wo er das literarische Programm des Peter-Huchel-Hauses leitet.
Für den Leiter des Frankfurter Literaturhauses, Hauke Hückstädt, ist Seiler die richtige Wahl. „Mit Lutz Seiler ehrt die Darmstädter Akademie einen unserer besten Dichter und vielmaligen Gast der Literaturhäuser in Deutschland, Österreich und Schweiz.“ Seit den frühen Gedichtbänden zähle er zu den wichtigen europäischen Poeten, seit dem Roman „Kruso“ auch zu den stimmungsbildenden Erzählern von Ereignis- und Mikrogeschichte.
Den Georg-Büchner-Preis soll er am 4. November im Staatstheater Darmstadt verliehen bekommen. Die Akademie vergibt ihn seit 1951 an Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die in deutscher Sprache schreiben. Die Preisträger müssen an der Gestaltung des gegenwärtigen deutschen Kulturlebens wesentlichen Anteil haben, heißt es in der Satzung. Der Preis wird vom Bund, dem Land Hessen und der Stadt Darmstadt finanziert.
Zu den Preisträgern gehören Max Frisch (1958), Günter Grass (1965) und Heinrich Böll (1967) sowie zuletzt Emine Sevgi Özdamar. Namensgeber ist der Dramatiker und Revolutionär Georg Büchner („Woyzeck“). Er wurde 1813 im Großherzogtum Hessen geboren und starb 1837 in Zürich.