Hamburg. In „Was war und was wird“ zeigt das Ensemble der Hamburger Kammerspiele ein Stück, das trotz kleiner Schwächen überzeugt.

Ist es ratsam, viel über das eigene Leben nachzudenken, während man es lebt? Na ja, es ist zumindest nicht immer lustig. Anke und Theo, ein Paar in mittleren Jahren, stellen sich in „Was war und was wird“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz einigen unangenehmen Wahrheiten und fast verblichenen Erinnerungen.

Das Autorenduo gilt als meistgespieltes im deutschsprachigen Raum. In diesem Auftragswerk für die Hamburger Kammerspiele beschäftigt es sich mit einem erstaunlich konventionellen Paar und seiner durch und durch bürgerlichen Vater-Mutter-Kind-Existenz.

Hamburger Kammerspiele überraschen mit Situationskomik

Sewan Latchinian, Regisseur und künstlerischer Leiter der Kammerspiele, hat die Uraufführung nicht nur in Szene gesetzt, sondern auch den Raum gestaltet, der mit Lamettavorhang, Leiter, Requisitentisch und Mischpult eher an eine etwas zugerümpelte Probebühne erinnert. Doch der Charakter eines Provisoriums ist bewusst gewählt.

Vor dem Vorhang rutschen Nina Kronjäger als angespannte Anke und Stephan Benson als nörgelig-unzufriedener Theo auf ihren Theatersesseln hin und her und streiten kurz vor einer Vorstellung. Über das Auto auf dem Behindertenparkplatz. Über das Programmheft. Und darüber, warum sie überhaupt hier sind.

Bühnenarbeiterin Lenny (Alexa Harms) durchbricht die Szene, indem sie Theo ans Mikrofon lockt. Und auf einmal beginnt das Paar, das eigene Leben zu spielen. Dieser Beginn hält viel überraschende Situationskomik bereit, die dem Stück im Verlauf aber ein wenig abhanden kommt.

Schauspielerin Nina Kronjäger glänzt in Hamburger Kammerspielen

Eine lange Rückblende setzt ein. Das erste Kennenlernen. Die Tonspur von Depeche Mode, Plastic Bertrand und Nancy Sinatra. Studentenpartys unter einer Discokugel. Als Teenager hätten Theo, dieser etwas linkische, schüchterne Junge im Bundeswehr-Parka mit langer Matte und Pali-Tuch um den Hals, und die fröhliche, selbstbewusste Anke mit ihren farbigen Leggins, Stulpen und pinkem Haar-Reif (Kostüme: Celina Blümner) wohl kaum zusammengefunden. Der Zufall macht aus den beiden Studierenden später ein Paar.

So verschieden sie auf den ersten Blick erscheinen, es folgen dann doch die klassischen Meilensteine eines Lebens: Ehe, die Kinder Linda und Jakob, Haus, Garten – und die ersten Risse in der Beziehung. Die eigenständige Anke bespricht ihre erste Schwangerschaft mit einem engen Freund. Mit ihrer Freundin Jana verbindet sie mehr als nur die gemeinsamen Einkaufstouren. Das erzeugt schlimmste Unsicherheiten bei Theo, sodass er auf einmal seine hässliche, besitzergreifende Seite zeigt.

Benson gibt dem etwas weinerlichen, jammernden, aber gutmütigen Theo einen großartigen Reichtum an Emotionen und viel Teddybär-Charme. Nina Kronjäger ist als lebenskluge, schlagfertige Anke in jeder Szene eine Bereicherung.

Hamburger Kammerspiele zeigen Ehe-Alltag auf der Bühne

Beide spielen sich durch die ganz normalen Minidramen und Genervtheiten eines Durchschnittspaares: tanzen, schweigen, weinen, brüllen. Sie will irgendwann mehr arbeiten. Er übernimmt zumindest die Kindergeburtstage. „Wir sind nur kleine Spießer, was, Theo?“ sagt Anke. „Wir sind keine Spießer, wir sind normal, und jetzt müssen wir langsam die Kinder ins Bett bringen, oder? Anke?“, antwortet Theo.

Auf diesem Niveau spielen sich die Konflikte ab. Gelegentlich hauchen die beiden ein paar erfahrene oder erträumte Abgründe ins Mikrofon. Theo fantasiert vom Sex mit der Babysitterin. Anke erinnert sich an eine Partynacht, die übergriffig endete. Doch es bleiben kurze Ausflüge ohne Wirkung.

„Was war und was wird“ bringt Abwechslung für Kammerspiele-Fans

Hübner und Nemitz holen schon mit der ersten Theater-im Theater-Szene das Stammpublikum der Kammerspiele ab. Sie streifen viele lebensnahe Themen, die Kluft zwischen den Generationen, das Älterwerden, die Überlegung, warum es genau dieses Leben geworden ist und kein anderes. Und doch stehen die Teile dramaturgisch seltsam unverbunden nebeneinander. Mal ist der Abend mehr Beziehungsdrama, mal mehr Well-made-Play. Der Text hält manche Pointe bereit, doch dann befindet man sich plötzlich im ernsthaften Beziehungsgespräch.

Nicht jedes Minidrama hat auch die nötige Fallhöhe. Manchmal verschleppt das Tempo. Eingestreute stereotype Exotismen vom Spanien- oder Griechenland-Urlaub wirken klischeehaft und überflüssig. Aber sie sind die Ausnahme. Latchinian reißt viele Szenen bewusst nur an. Belässt ihnen den traumartigen Schleier der flüchtigen Erinnerung und schafft es so doch, mit dieser sehr menschlichen kleinen Geschichte zu berühren.

Wer würde nicht sentimental bei auf eine Leinwand projizierten Jugendfotos, die im Rückblick eben doch von Vergänglichkeit erzählen? Alt werden ist bekanntlich nichts für Feiglinge. Die beiden glänzenden Hauptdarsteller bekommen sogar eine verunglückte Szene hin, in der der Tod schon mal bei Anke anklopft. Da ist der fürsorglich sich um Anke kümmernde Theo längst im Wohlfühlstadium des Lebens angekommen. Die wiederum findet Frieden beim Gärtnern. Und irgendwann erklingt Musik von David Bowie.

„Was war und was wird“ weitere Vorstellungen bis 8.10., Hamburger Kammerspiele, Hartungstraße 9–11, Karten unter T. 413 34 40; www.hamburger-kammerspiele.de