Hamburg. Mit ihrer Band The Pretenders hatte Chrissie Hynde vor allem in den 80er-Jahren große Hits. Jetzt kommt sie zum Reeperbahn Festival.
Vor 45 Jahren gründete Gitarristin und Sängerin Chrissie Hynde ihre Band The Pretenders, die teilweise das „New Wave“-Etikett trug, aber eigentlich immer Rock mit starkem Sixties-Einschlag spielte – nicht umsonst war die erste Single, „Stop Your Sobbing“, die Coverversion eines Hits der Kinks. Mit „Brass In Pocket“ schaffte die Band es 1979 auf Platz eines der britischen Charts, auch mit „Don’t Get Me Wrong“ (1986) ging es noch einmal ganz weit nach oben.
Reeperbahn-Festival mit Chrissie Hynde: „Rock ‘n’ Roll ist wieder im Kommen!“
In Hamburg haben The Pretenders zuletzt 2009 gespielt; am 23. September gibt es in der Großen Freiheit 36 ein Wiedersehen im Rahmen des Reeperbahn Festivals. Im Gepäck hat die Band dann auch Songs des neuen Albums „Relentless“. Ein Gespräch mit Chrissie Hynde (72) über die Zukunft des Rock ‘n’ Roll, Hamburg-Erinnerungen und Stadion-Konzerte.
Hamburger Abendblatt: Sie haben in diesem Jahr beim „Great Escape“-Festival in Brighton gespielt und werden auch beim Reeperbahn Festival auftreten, beides sind Newcomer-Festivals. Suchen Sie nach einem jüngerem Publikum?
Chrissie Hynde: Ich suche nicht wirklich nach einem jüngeren Publikum, aber es gibt in der Rockmusik eine Art von Zirkel. Rockbands werden populär und dann verschwinden sie wieder in der Versenkung. Ich erinnere mich, dass Deutschland vor 40 Jahren ein enthusiastisches Rock-Publikum hatte. Es liebte Motörhead und andere Combos, dann wurde Electro populär. Aber Rock’n’ Roll ist wieder im Kommen. Das sieht man an Guns ‘N Roses. Da sind ganze Dörfer unterwegs und tragen T-Shirts von Guns ‘N Roses und erinnern sich so an ihre Teenager-Zeit. Jeder will dieses Gefühl. 25-Jährige wissen vielleicht nicht, wer die Pretenders sind. Wir sind also neu für sie. Ich halte nicht Ausschau nach irgendetwas, ich will einfach nur spielen.
Haben Sie gute Erinnerungen an Hamburg?
Mein Erinnerungsvermögen ist nicht besonders gut. Aber ich erinnere mich, dass ich hier Grace Jones zum ersten Mal erlebt habe. Sie sang eine Version von „Private Life“. Das war im Basement eines Clubs, aber ich erinnere mich nicht mehr an den Namen.
„Ich spiele am liebsten in kleinen Clubs und reise mit dem Zug“
Sie bewegen sich seit mehr als 40 Jahren in der Rock-Szene. Ist es nicht kraftzehrend, immer wieder ins Flugzeug zu steigen, dann zum Konzert, am nächsten Tag wieder in den Flieger und so weiter?
Das ist nicht mein Rock’n’Roll-Leben und ich versuche das zu vermeiden. Ich spiele am liebsten in kleinen Clubs und reise mit dem Zug. Ich mag keine Stadion-Konzerte. Aber eine Tournee ist teuer, auch wenn unsere Crew nur aus acht Leuten plus vier Musikern besteht. Um alles bezahlen zu können, sind wir zurzeit mit Guns ‘N Roses auf Tour – und die spielen in Stadien.
Sie haben mit Ihrem Gitarristen James Walbourne einen neuen Co-Autoren. Wie läuft die Zusammenarbeit mit ihm?
Wir haben schon das vorangegangene Album „Hate For Sale“ zusammen geschrieben und während des Lockdowns ein ganzes Album mit Bob-Dylan-Songs übers Telefon aufgenommen. Wir haben festgestellt, dass wir eine gute Methode gefunden haben, zusammen zu schreiben. Bei der aktuellen Platte „Relentless“ wollten wir ein ruhiges, langsames, stimmungsvolles Album aufnehmen. Als wir dann im Studio waren, wurde das doch mehr Rock ‘n’ Roll, vielleicht ist das unvermeidlich bei uns.
„Ich erfinde keine Dinge, die Texte basieren auf eigenen Erfahrungen“
Lassen Sie uns über Texte reden. Ich war sehr berührt von „Domestic Silence“, ein Song über häusliche Gewalt. Was war der Ausgangspunkt für dieses Lied?
Es ist sehr schwer, über Texte zu sprechen und was ihr Ausgangspunkt gewesen ist. Ein Lied kann für den Zuhörer eine Menge bedeuten und er kann ihn interpretieren. Wenn ich erklären muss, was der Song bedeutet, erfüllt er nicht seinen Job. Vieles was ich schreibe, hat einen autobiografischen Ausgangspunkt, ich erfinde keine Dinge, die Texte basieren auf eigenen Erfahrungen.
Beim Glastonbury-Festival haben die Pretenders mit Dave Grohl (Foo Fighters) gespielt. War das eine spontane Idee?
Dave war auch für Glastonbury gebucht und wir hatten gerade SMS-Kontakt. Als ich meinen Bandmitgliedern davon erzählte, sagten sie: „Wetten, dass er bei einem Song mitspielen will?“ Ich habe ihn dann gefragt, ob er Lust hätte, bei „Tattooed Love Boys“ dabei zu sein. Er antwortete sofort „FUCK YEAH“ und ich habe ihn zu den Proben nach Camden Town eingeladen, aber er kam nicht. Dann tauchte er in Glastonbury plötzlich neben der Bühne auf. Er braucht eben keine Proben, er kann zu jeder Zeit mit jedem spielen.
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Auf den Setlisten der vergangenen Konzerte stehen nicht viele neue Songs. Wollten Sie warten, bis das Album raus ist und dann mehr neues Material spielen?
Ja, genau. Ich weiß, wie es sich anfühlt, im Publikum zu stehen. Es ist anstrengend, sich sechs Songs anzuhören, die man nicht kennt. Die meisten hören lieber Songs, die sie kennen. Aber wenn wir im Herbst auf Tour geben, spielen wir mehr Songs von „Relentless“. Einige Bands spielen ihr ganzes neues Album, aber das Publikum will die Hits. Wir versuchen ein Gleichgewicht hinzubekommen. Wir wollen nicht, dass die Leute an die Bar gehen.
Mick Jagger ist gerade 80 geworden. Wo werden Sie sein und was werden Sie machen, wenn Sie 80 sind?
Ich habe keine Idee. Ich glaube, dass in acht Jahren viele Dinge sehr anders sein werden. Ich plane nur für die nächsten zwei Jahre und schaue nicht darüber hinaus nach vorn. Hoffen wir das Beste!
Das Konzert: 23.9. Reeperbahn Festival, Große Freiheit 36; www.reeperbahnfestival.com Das Album der Pretenders: „Relentless“ (Warner)