Hamburg. Die Ausstellung „Das Land spricht. Sámi Horizonte“ schlägt eine Brücke zwischen zeitgenössischer Kunst und Lebensrealität der Samen.

Alles ist weiß. Im Vordergrund sieht man eine monochrom weiße Fläche, Schnee, einen vernebelten Fluss. Oben eine monochrom weiße Fläche, ein heller, kalter Himmel. Und in der Mitte eine schmale Linie, blau, grün, farbig. Britta Marakatt-Labbas Stickerei „A Journey In Time“ zeigt eine Landschaft, wie man sie mit dem Norden Skandinaviens verbindet, eine Landschaft, die aus Kälte und Gleichförmigkeit besteht, und in der einzelne farbige Elemente eine wahre Explosion befördern.

MARKK: eine Auseinandersetzung mit dem nordischen Kolonialismus

Gleichzeitig erzählt Marakatt-Labba aber auch eine Geschichte, die sich mit der Landschaft verschränkt: Durch den Fluss zieht eine Rentierherde, kommt an Land und bewegt sich dort durch einen Wald von Windrädern, bis sie am Bildrand von Urmüttern in Empfang genommen wird, Frauenfiguren, die die traditionellen samischen Kopfbedeckungen Ládjogahpir tragen.

Das Museum am Rothenbaum MARKK hat „A Journey In Time“ jüngst erworben und zeigt das Werk erstmals in seiner Ausstellung „Das Land spricht. Sámi Horizonte“. Und Marakatt-Labbas Arbeit steht exemplarisch für das, was die Ausstellung will – sie schlägt eine Brücke zwischen zeitgenössischer Kunst einerseits und der Lebensrealität der Samen, einer bis heute diskriminierten Volksgruppe in einer im Norden Finnlands, Russlands, Schwedens und Norwegens gelegenen Region namens „Sámpi“.

Die matriarchale Gesellschaftsordnung der Samen wurde zerstört

In „A Journey In Time“ sieht man die Rentiere, die für das wirtschaftliche wie kulturelle Selbstverständnis der Samen wichtig sind, man sieht aber auch ökonomische Verwerfungen (beispielsweise durch Windparks, die in für die indigene Bevölkerung bedeutsamen Naturschutzgebieten gebaut werden), und man entdeckt durch die Urmütter einer Verweis auf die matriarchale Gesellschaftsordnung der Samen, die durch den Einbruch von Christentum und Patriarchat zerstört wurde.

Im MARKK zu sehen: Annika Dahlsten und Markku Laakso - Koskivuonovaara, Inari, 2011
Im MARKK zu sehen: Annika Dahlsten und Markku Laakso - Koskivuonovaara, Inari, 2011 © Annika Dahlsten & Markku Laasko

Am MARKK hat man mittlerweile eine gewisse Übung in der Auseinandersetzung mit der eigenen kolonialen Vergangenheit. Allerdings geht der Blick dabei meist auf den Kolonialismus, in dem der globale Norden der Süden ausbeutete und unterdrückte. Dass es auch einen nach Norden gerichteten Kolonialismus gibt, ist sowohl in der wissenschaftlichen wie in der öffentlichen Diskussion bis heute kaum bekannt, entsprechend wird die bis heute andauernde Unterdrückung der samischen Bevölkerung in Fennoskandinavien nur wenig aufgearbeitet. Dabei besitzt man am Rothenbaum eine der weltweit größten Sammlungen samischer Artefakte, rund 1300 Inventarnummern zählt Museumsdirektorin Barbara Plankensteiner. Ein Schatz, mit dem sich arbeiten lässt, allein: Kaum jemand weiß von ihm, auch Provenienzforschung findet nicht statt.

Museum Hamburg: Ausstellungen im MARKK und Kunsthaus ergänzen einander

Schon vor Jahren hatte Katja Schröder, die damalige Leiterin des Kunsthauses Hamburg, angeregt, die MARKK-Sammlung als Anlass für eine Auseinandersetzung mit dem nordischen Kolonialismus zu nehmen. Nach einer langen Unterbrechung durch die Corona-Pandemie gibt es jetzt sogar zwei Präsentationen: „Speaking Back“ im Kunsthaus, gestartet Anfang Juni, ist noch bis 1. Oktober zu sehen, während „Das Land spricht“ bis Februar kommenden Jahres läuft. Der September bietet also Gelegenheit, zwei Ausstellungen zu besuchen, die sich gegenseitig ergänzen.

Denn natürlich konzentriert man sich im Kunsthaus auf die zeitgenössische samische Kunstproduktion, während das MARKK stärker kulturhistorisch arbeitet. Aber so einfach lassen sich die Ebenen nicht trennen, angesichts einer Gesellschaft, in der Kunst, Kunsthandwerk und soziales Gefüge eine untrennbare Einheit bilden. Und so tauchen auch am Rothenbaum Arbeiten auf, die ebenso ins Kunsthaus gepasst hätten, Marja Helanders Video „Trambo“ etwa (das in seiner Betonung der Schneelandschaft freilich perfekt zu Marakatt-Labbas Stickarbeit passt) oder die inszenierten Fotografien von Annika Dahlsten und Markku Laakso, die eine überraschende Verbindung zwischen Sámpi und Hamburg herstellen: über die „Völkerschauen“, mit denen Carl Hagenbeck einst Klischeebilder indigener Gemeinschaften produzierte, unter anderem auch mit Samen.

Dahlsten und Laakso sind auch im Kunsthaus präsent, im MARKK aber stehen sie im Kontext von historischen Artefakten wie Kleidung, Alltagsgegenständen, Schmuck. Und auch: Kunst. Dass die im europäischen Museumsalltag durchgesetzte Trennung zwischen den Ebenen hier nicht zielführend ist, das ist eine Erkenntnis, die die beiden Ausstellungen mustergültig vollziehen. Eine andere ist, wie hier ein interessanter Blick auf einen wenig bekannten Aspekt des europäischen Kolonialismus geworfen wird.

„Das Land spricht. Sámi Horizonte“ bis 25. Februar 2024, MARKK – Museum am Rothenbaum, Rothenbaumchaussee 64, www.markk-hamburg.de