Hamburg. Atemraubend: Das Gustav Mahler Jugendorchester, dirigiert von Jakub Hrůša, im Großen Saal der Elbphilharmonie.

Bei manchen Sinfonien sind die Momente der packenden Ruhe, zu der man viel Mut aufbringen muss, zwingender Bestandteil der Klangwelt und nicht nur die zwischenzeitliche Abwesenheit musikalischer Abläufe. Gustav Mahlers Neunte, letzter Satz, dieses große, sich aufbäumende Endzeit-Adagio über das Ende der Zeit – wer da als Dirigent und als Orchester nicht immer wieder kurz ins Stocken gerät und erst nach einer Schrecksekunde über die Tiefe der stummen Abgründe hinweg weiterspielen kann, hat die schreckliche, herrliche Essenz dieses Stücks nicht verstanden.

Kurz vor dem finalen Ausklingen des „Elbphilharmonie Sommer“-Sortiments noch einmal richtig groß, ernst und eindringlich punkten, diese Rechnung ging am Donnerstag beeindruckend gut und schlüssig auf. Denn wenn ein Jugendorchester schon Gustav Mahler als Namensgeber und Schutzheiligen im Titel trägt, sollten dessen Sinfonien für das in Wien beheimatete GMJO wahre Herzensangelegenheiten sein. Selbstbewusst und unaufgeregt genug jedenfalls war dieses Ensemble ganz eindeutig.

Elbphilharmonie: Mahlers Sinfonie vom Ende der Zeit

Vor gut anderthalb Jahren hatte der Tscheche Jakub Hrůša, damals mit „seinen“ Bambergern, die riesige, extrovertiert endende Zweite bestens im Großen Saal bewältigt; Mahlers Neunte, über weite Strecken schon nicht mehr von dieser Welt, gab nun dem GMJO die Gelegenheit, seine erwachsenen Qualitäten unter Beweis zu stellen, ohne forcierten Nachdruck oder übertriebenes Show-Leiden.

Im Schlusssatz der letzten vollendeten Mahler-Sinfonie, die alles infrage stellt, lösen sich Klang und Leben und Wollen mehr und mehr ins Nichts auf, hier wäre „spielen“ eine falsche Beschreibung der vom Tutti verlangten Tonproduktion und -gestaltung. Abringen muss man diese Musik der Stille um sie herum. Je tiefer Dirigent und Orchester sich bei dem Elbphilharmonie-Gastspiel gemeinsam in diesen Ausklang vorwagten, desto leiser wurden sie, bis das vage Flüstern der Geigen nur noch eine Art melodisches Grundrauschen eine schüttere Ahnung von Musik aufrechterhielt. Als alles vorbei und damit auch überstanden war, war mehrere Herzschläge lang absolut nichts mehr zu hören im Raum.

Elbphilharmonie: Zum Schluss absolute Stille im Raum

Im zweiten Satz waren Dirigent und Orchester intelligent und aufmerksam genug gewesen, um der von Mahler wieder einmal als Heile-Welt-Kulisse aufgebauten Ländler-Idylle nicht auf den Schein-Leim zu gehen. Beeindruckend war dabei vor allem die Ensemble-Abstimmung der Holzbläser, das markante Spiel mit Akzenten und Kontrasten. Dieser Spaß an der Feinarbeit setzte sich in der Rondo-Burleske fort, auch hier gelungene Einzelleistungen in allen Instrumentengruppen. Hrůša musste nicht mehr allzu viel nachjustieren oder korrigieren, die Sache hatte nicht nur Hand und Fuß, sondern auch Herz und Hirn.

„Elbphilharmonie Sommer“-Finale: 30.8., 20 Uhr, Ukrainian Freedom Orchestra, Keri-Lynn Wilson (Dirigentin), Werke von Verdi, Stankovych und Beethoven, evtl. Restkarten