“Die Altstadt ist ein Schatz, der meine Fantasie anregt“, sagt der Hamburger Kriminalschriftsteller Norbert Klugmann.
Lübeck/Hamburg. Es muss an den verwinkelten Altstadtgassen liegen, den backsteinernen Kontorhausgiebeln und den Kirchtürmen, unter deren langen Schatten sich seit Jahrhunderten Geschichte und Geschichten sammeln. In Lübeck lässt es sich besonders gut auf Mörderjagd gehen. Die Hansestadt an der Trave ist Schleswig-Holsteins Krimi-Metropole. Mindestens zehn Autoren schicken ihre Ermittler in Lübeck zur Arbeit. Zwei Kripo-Beamtinnen sind in der ZDF-Serie "Das Duo" zwischen Holstentor und Heiligen-Geist-Hospital im Einsatz.
"Die Altstadt ist ein Schatz, der meine Fantasie anregt", sagt Norbert Klugmann (56), der gerade seinen zweiten Historienkrimi um die Hebamme Trine Deichmann ("Die Nacht des Narren") veröffentlicht hat. Klugmann lebt in Hamburg, hat aber inzwischen fünf Lübeck-Krimis geschrieben. "Lübeck war die zentrale Stadt während der Hansezeit, von dort gingen Waren in die ganze Welt", begründet der Schriftsteller, der gern durch die Altstadtinsel streift, seine Ortswahl.
Klugmanns Krimiheldin Trine Deichmann lebt an der Zeitenwende Ende des 16. Jahrhunderts, als die beste Zeit für Lübeck vorbei ist. Mutig, unkonventionell und mit viel Verve macht die Hebamme ihre Arbeit - und gerät so in Familienfehden wie im ersten Band um die Salzhändlerfamilie Schelling oder jetzt im zweiten Band in die surreale Regentschaft des Hofnarren Theophrastus von Bommelheim auf einem Schloss im Mecklenburgischen. "Ich habe eine kleinere Stadt gewählt, weil sich die Verflechtungen der Personen und der Erzählstränge besser im Griff behalten lassen", sagt Vielschreiber Klugmann, der parallel noch eine zweite Krimiserie um den sehr gegenwärtigen Lübecker Weinkenner Marchese schreibt.
Das Konzept geht auf. Lübeck als Krimikulisse kommt bei den Lesern an. "Fast jeder kennt die Stadt", sagt Frank Liebsch vom Gmeiner-Verlag. Zudem gebe es bei abgeschlossenen Regionen eine besonders hohe Identifikation und damit ein hohes Leserinteresse. Gemeiner, ein auf Regionalkrimis spezialisierter Verlag im schwäbischen Messkirch, hat mit Ellen Danz ("Nebelschleier") und Anke Clausen ("Ostseegrab") zwei weitere Autorinnen im Programm, die ihre Geschichten in und um die Hansestadt ansiedeln. "Die Nordkrimis laufen gut, auch weil sie von Urlaubern gelesen werden", so Liebsch.
Auch Derek Meister (35) lässt seinen Helden Rungholt durch die Lübecker Geschichte streifen. Handlungszeit ist das Mittelalter des 14. Jahrhunderts. Inzwischen hat der Autor, der südlich von Hamburg am Steinhuder Meer lebt, seinen dritten Krimi ("Knochenlese") um den bärbeißigen Patrizier veröffentlicht. Der vierte Band soll im März 2009 beim zur Random House-Gruppe gehörenden Blanvalet-Verlag erscheinen. Allesamt dicke Schmöker, die detailreich, gut recherchiert und auch noch humorvoll sind. Die Gesamtauflage liegt laut Verlag bei immerhin 95 000 Exemplaren.
"Es gibt hier viele Ecken und Winkel, die mittelalterlich angehaucht sind. Da kann man sich zahlreiche Geschichten vorstellen", freut sich Doris Schütz vom Lübecker Stadtmarketing über dem Krimi-Boom in der Hansestadt. Auch die örtliche Polizei beschäftigen die fiktiven Kriminalfälle zunehmend. "Wir haben immer wieder Anfragen", sagt Polizeisprecher Frank Doblinski. Auch im wahren Leben ist Lübeck ein Tatort. In der bundesweiten Kriminalitätsstatistik liegt die 250 000-Einwohner-Stadt regelmäßig ganz weit vorn. "Aber ich glaube nicht, dass das der Grund für Autoren ist, ihre Geschichten in Lübeck spielen zu lassen", sagt der Polizist. "Das liegt eher am Ambiente."
Das beschwört auch Eva Almstädt (42) in ihren Pia-Korittki-Fällen. Es geht um dunkle Familiengeheimnisse und eine rätselhafte Mordserie. Dazu gibt es viel Lokalkolorit: "Die Engelsgrube war eine abschüssige Straße, die sich vom Koberg hinunter bis zur Drehbrücke zog. Pia stand neben dem Gebäude der Schiffergesellschaft und blickte skeptisch hinunter in Richtung Hafen("Engelsgrube")."
Vier Krimis um die Polizeikommissarin, die gern mal eine Bloody Mary trinkt, hat die Autorin aus dem schleswig-holsteinischen Hammoor inzwischen veröffentlicht. Die Auflage liegt nach Angaben des Bastei-Lübbe-Verlags bei 80 000 Exemplaren. Die nächsten beiden Bände sind in Arbeit.
"Es sind gut geschriebene Krimis mit einer interessanten Hauptfigur, die zudem eine große Authenzität haben", erklärt ihre Lektorin Karin Schmidt den Erfolg von Pia Korittki. Die Kommissarin ist ähnlich wie der ermittelnde Patrizier Rungholt oder die furchtlose Hebamme Trine Deichmann auch ein Marketingfaktor für die Hansestadt Lübeck.