Hamburg. Für viele ist er der Erfinder des Programmkinos. Wie jetzt bekannt wurde, ist Werner Grassmann am 14. August mit 96 Jahren gestorben.

Eigentlich wollte er nie ein Kino betreiben, sondern lieber selber Filme drehen und produzieren. Als „Abfallprodukt seiner Karriere“ bezeichnete Werner Grassmann einmal die Gründung des Abaton-Kinos am Allende-Platz im Jahr 1970, doch vielen gilt er als Erfinder des Programmkinos. Am 14. August ist dieser Pionier für ein anderes Kino abseits des Mainstreams in Hamburg im Alter von 96 Jahren gestorben.

Abaton-Gründer Werner Grassmann ist tot – große Trauer

Bevor Grassmann das Abaton in einer ehemaligen Autowerkstatt am Universitäts-Campus zusammen mit Winfried Fedder gründete, drehte er 1953 den Dokumentarfilm „Ware unterwegs“ über den Hamburger Hafen, doch einen Verleih fand er ebenso wenig wie andere junge und engagierte Filmemacher für ihre experimentellen Streifen fernab des Heimatfilm-Kitsches der Nachkriegszeit.

Diese Cineasten trafen sich oft in Grassmanns erstem Kino in der Schmilinskystraße, dem Studio 1. 1953 hatte er es gegründet. Mit 18 Plätzen und sieben Gartenstühlen war jedoch kein großes Geschäft zu machen. Nach drei Jahren musste Grassmann den kleinen Saal wieder schließen.

Mit seinem zweiten Kino hatte Werner Grassmann Erfolg

Es folgten Stationen als Filmkritiker, Radioreporter und Mitentwickler der „Tagesschau“. 1970 wagte Grassmann zum zweiten Mal den Betrieb eines Kinos. Nun hatte er Erfolg, weil sich auch die Film-Szene gewandelt hatte. Plötzlich waren junge deutsche Filmemacher wie Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders und Werner Herzog en vogue, junge Leute wollten die Stars des New Hollywood wie Peter Fonda, Dennis Hopper und Jack Nicholson auf der Leinwand sehen.

Den Namen Abaton hatte Grassmann übrigens gewählt, um im Alphabet vor den anderen Kinos in Hamburg zu stehen. Und: Als Abaton werden einige besondere altägyptische Kultstätten bezeichnet. Das passt bis heute, denn das Abaton ist über all die Jahrzehnte ein kultischer Ort geblieben, an dem Arthousefilme, Klassiker, Kinder- und Jugendfilme sowie Dokumentationen gezeigt werden.

Vanessa Redgrave und Clint Eastwood gehörten zu den Abaton-Gästen

Grassmann hatte immer ein feines Gespür für junge vielversprechende Regisseure und zeigte deren Erstlinge. Oft waren sie bei diesen Premieren anwesend. Auch die Liste der internationalen Gäste ist lang: Spike Lee, Vanessa Redgrave und Clint Eastwood sind nur drei von Aberdutzenden, die ihre Filme am Allende-Platz präsentiert haben – nicht zuletzt durch die Initiative des langjährigen Programmchefs Matthias Elwardt.

Das Abaton ist immer ein Familienunternehmen gewesen, und so ist es nicht verwunderlich, dass zwei von Grassmanns Söhnen das Kino seit ein paar Jahren leiten. Felix und Philip setzen die Arbeit ihres Vaters in dessen Sinne fort.

Abaton: Kultursenator Carsten Brosda trauert

Werner Grassmann wurde 2006 die Biermann-Ratjen-Medaille des Hamburger Senats für seine Verdienste um Filmkultur in Hamburg verliehen, eine Auszeichnung, die nur hochkarätige Kulturmacher bekommen. Auch für Filme seiner Studio-1-Filmproduktionen erhielt Grassmann Preise, unter anderem 1993 für den Kurzfilm „Wie Erwin Stuntz den Sexfilm drehte“. Als das Abaton 2011 als „European Cinema of the Year“ ausgezeichnet wurde, war das ebenfalls eine besondere Ehre für Grassmann.

Auf Twitter schreibt Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda: „Ein Enthusiast des Films ist gestorben. Ohne Werner Grassmann würde es das Abaton und die Idee des Programmkinos als Ort des guten und relevanten Films nicht geben. Seine Leidenschaft und sein Glaube an die Kraft des Kinos haben die Kunstform Film belebt.“

In Vergessenheit geraten wird dieser engagierte Cineast nicht so schnell. Seit mehr als 50 Jahren läuft sein Abaton erfolgreich; seine schönste Anekdoten hat Werner Grassmann 2010 in einem Buch veröffentlicht: Es heißt „Hinter der Leinwand“.