Hamburg. Er war Regisseur, Produzent und hat das Abaton aus der Taufe gehoben. Morgen wird der Filmschaffende 90 Jahre alt.

Er ist eine Institution in der Hamburger Filmlandschaft und weit mehr als nur ein Kinobetreiber. Werner Grassmann hat mit dem Abaton eines der ersten und mittlerweile für die Programmgestaltung mehrfach ausgezeichneten deutschen Programmkinos gegründet.

Er ist selbst Filmemacher und hat ein Herz für den Nachwuchs. Er hat immer wieder jungen Regisseuren in den Sattel geholfen, indem er ihre Filme zeigte, als sie noch keiner kannte. Das gilt zum Beispiel für Dani Levy, Rosa von Praunheim, Detlev Buck und Matthias Glasner. Gelegentlich ist er auch als Produzent in Erscheinung getreten. Morgen wird er 90 Jahre alt.

Mit der Zeit ist es so eine Sache. Manchmal scheint sie zu kriechen, dann wieder zu rasen. Werner Grassmann hat lange versucht, sie anzuhalten. Sein „offizielles“ Alter war jahrelang „59“. Wie viel Lenze er wirklich schon erlebt hatte, wussten nur ganz alte Weggefährten – und die hielten dicht. „Jetzt ist es aber raus“, sagt der Jubilar kurz vor seinem 90. Geburtstag mit einem Hauch von Koketterie. Er hat allen Grund, stolz darauf zu sein, wie gut er sich gehalten hat, strahlt eine gewisse Lässigkeit und Grandezza aus.

Grassmanns Leben als Kurzfilm: 1926 geboren, Seekadett, amerikanische Gefangenschaft, Anzeigenwerber, Gründung des Kinos Studio 1, Pressechef Fernsehen beim Süddeutschen Rundfunk, Redakteur bei der „Tagesschau“, Leiter Hamburger Kinotage … In Langfassung nachzulesen in seiner Autobiografie „Hinter der Leinwand“.

So weit die trockenen Fakten. Lebendig wird es, wenn Grassmann Kino-Anekdoten erzählt. Den ersten Film, den er überhaupt in einem Kino gesehen hat, war 1936 „Englische Heirat“, eine Gesellschaftssatire von Reinhold Schünzel. Die Schauspielerin Renate Müller, erzählt Grassmann, fährt darin mit einem Galan in einem offenen Cabriolet auf einen Heuwagen auf, krabbelt mit ihm durch das getrocknete Gras und küsst ihn. „Das hat mich sehr beeindruckt“, erinnert er sich.

Einer der Eröffnungsfilme im Abaton war 1972 „Monterey Pop“ von D.A. Pennebaker. Grassmann war von dem Film, den ein Münchner Student aus den USA mitgebracht hatte, begeistert. Er bestellte bei Pennebaker eine zweite Kopie, die der auch zum Flughafen Hamburg schickte, adressiert an den Namen des Studenten. Der Abaton-Chef wollte sie abholen, aber der Zoll wollte 2400 D-Mark Gebühren kassieren. Die Verhandlungen liefen ins Leere. „Da liegt der Film wohl noch heute“, sagt Grassmann, der schließlich die Münchner Kopie zeigte.

1953 drehte er seinen ersten eigenen Film

Als Frank Zappa in den 70er-Jahren einen seiner Filme am Allende-Platz präsentierte, gab es keinen Kopien-Ärger. Der Kinochef überredete den Rockstar, nach dem Film noch mit in die angrenzende Kneipe zu kommen und sich ans Klavier zu setzen. „Was er spielte, war aber nicht so doll“, sagt Grassmann. Die entsprechende Fotografie signierte der US-Amerikaner später mit „I was here. I played this piano. It was out of tune“ (Ich war hier. Ich spielte auf diesem Klavier. Es war nicht gestimmt).

Als Jim Jarmusch im Abaton war, setzte sich Kino-Dauergast Birgit Staudt neben ihn auf das berühmte rote Sofa und begann eine Unterhaltung. Sie muss nachhaltig gewesen sein. „Er hat sie vom Sofa weg mit nach New York genommen. Sie hat einige seiner Filme produziert. Wir haben sie dort besucht. Sie ist mit uns ins World Trade Center und zum Tribeca Film Festival gefahren“, schwärmt Grassmann.

1953 drehte Grassmann seinen ersten eigenen Film: „Ware unterwegs“ zeigt das Treiben und Handeln im Hamburger Hafen. Für den Kommentar konnte er Werner Finck gewinnen. Der Kabarettist wählte eigenwillige Worte zur Beschreibung des Geschehens, sagte zum Beispiel, das Öl würde von den Tankern so schnell entladen und abtransportiert, „als ob das Finanzamt seine Finger im Spiel hat“. Die Reaktionen waren geteilt. „Das Publikum und die Hafenwirtschaft fanden es toll, nur die Kinoleute haben den Kopf geschüttelt“, erinnert er sich.

Feiern wird er natürlich mit solchen und anderen Anekdoten, frischer Pizza, alten Freunden und alten Filmen. Aber auch wenn er immer noch nimmermüde wirkt, sagt er zum Abschied: „Und dann ist es auch schon bald Schlafenszeit.“