Hamburg. Das eindrückliche Stück „The Cadela Força Trilogy“ erzählt beim Sommerfestival auf Kampnagel von sexualisierter Gewalt.
Zunächst hat man noch das Gefühl, einem wissenschaftlichen Vortrag beizuwohnen. Carolina Bianchi beschreibt in ihrem Stück „The Cadela Força Trilogy“ beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel, wie sie sich aus kunstgeschichtlicher Perspektive mit dem Motiv des Femizids beschäftigt. Es gibt Bildbeschreibungen, es gibt literarische Beispiele von Dante bis Boccaccio. Man wiegt sich in Sicherheit.
Nach einer Weile spricht Bianchi über die italienische Künstlerin Pippa Bacca, die 2008 eine Performance namens „Brides On Tour“ begann: Bacca und ihre Kollegin Silvia Moro reisten, gekleidet in High Heels und Brautkleider, per Anhalter von Mailand Richtung Jerusalem, während Bianchi spricht, werden Fotos eingeblendet, Bacca an Ausfallstraßen in Sarajevo, Tuzla, Sofia.
Sommerfestival auf Kampnagel: Albtraum-Performance mit schalem Schlussapplaus
Die damals 33-Jährige kam bis in die Türkei, am Stadtrand von Istanbul wurde sie vergewaltigt und ermordet. Und nach und nach verlässt Bianchi die wissenschaftliche Distanz, wird emotional, wütend, schimpft über Baccas Kunst, über die Naivität, mit der eine privilegierte, westliche Künstlerin sich auf Gesellschaften einlässt, die sie nicht wirklich interessieren.
Unmerklich hat „The Cadela Força Trilogy“ den Bereich der Lecture Performance verlassen, plötzlich ist das Stück in eine Tirade gekippt, in der die brasilianische, heute in Amsterdam lebende Künstlerin ihre Persönlichkeit ohne Rücksicht auf Verluste einbringt. Und zwar radikal: Bianchi kündigt an, die Performance „La Siesta“ von Regina José Galindo zu reenacten: Galindo nahm hier 2016 bewusst K.-o.-Tropfen, verharmlosend „Boa Noite Cinderella“ („Gute Nacht Aschenputtel“) genannt. Und Bianchi folgt ihr: Nach und nach kippt ihr Vortrag weg, sie beginnt, zu lallen, der Text wird unterbrochen von Rülpsern, nach ungefähr einer Stunde schläft sie ein.
Kampnagel: „The Cadela Força Trilogy“ – Das ist eigentlich kein Theater mehr
Und „The Cadela Força Trilogy“ startet neu, als Albtraum. Die achtköpfige Gruppe Cara De Cavalo übernimmt, schiebt das Stück in Richtung Tanz, Schauspiel, Film, dekliniert Momente sexualisierter Gewalt durch. Nach einiger Zeit wird die leblose Performerin in den Kofferraum eines Autos gesteckt, später findet dann tatsächlich ein körperlicher Übergriff statt, kaum erträglich in seiner Drastik. Das ist eigentlich kein Theater mehr, sondern etwas, bei dem man im Publikum nicht weiß, ob man eingreifen sollte. Macht man nicht, aber das Unbehagen bleibt.
Bianchi erzählt so etwas über eine Gesellschaft, in der sexualisierte Gewalt zum Alltag gehört, sie denkt eigentlich bekannte Erkenntnisse wie die, dass es bei einer Vergewaltigung nur am Rande um Sexualität geht und in erster Linie um Macht, in unerwarteter Klarheit neu. Sie erzählt aber auch etwas über die Möglichkeiten des Theaters und über seine Grenzen.
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Diese Grenzen werden hier überschritten, da bewegt sich der Abend auf ein gefährliches Terrain, und vielleicht ist dieses gefährliche Terrain der Ort, an dem das Internationale Sommerfestival ganz zu sich selbst kommt? Der Schlussapplaus jedenfalls fühlt sich schal an: Was beklatscht man hier eigentlich gerade?