Nach langer Auszeit melden sich die Sängerinnen PJ Harvey, Anohni und Meshell Ndegeocello mit neuen Songs und Alben zurück.

Sie hat sich wieder mal sehr viel Zeit genommen. Vor sieben Jahren veröffentlichte PJ Harvey zuletzt ein Studioalbum, jetzt ist mit „I Inside The Old Year Dying“ (Partisan Records) eine neue Platte der britischen Sängerin erschienen. Die zwölf Songs basieren auf ihrem Gedichtband „Orlam“, den Harvey im vergangenen Jahr herausgebracht hat. Darin schlüpft sie in die Rolle der neunjährigen Ira und erinnert sich durch sie an ihre Kindheit in der Grafschaft Dorset im Südwesten Englands. Dort lebt Harvey immer noch sehr zurückgezogen.

Neue Alben: Musikalische Meisterwerke nach langer Schaffenspause

„I Inside The Old Year Dying“ enthält versponnene Songs, in denen es um Waldgeister, Barfußlaufen, den Wind, aber auch um Gott und den Tod geht. Und immer wieder tauchen Elvis Presley und seine Ballade „Love Me Tender“ in der Lyrik auf. Die Stücke sind überwiegend minimalistisch arrangiert, nur das abschließende „A Noiseless Noise“ ist eine rockige Nummer. PJ Harvey entwirft zusammen mit ihren Produzenten John Parish und Flood eine Klanglandkarte aus Noise, Folk und Elektronik.

Auch Anohni hat sieben Jahre gebraucht, um nach „Hopelessness“ eine neue Song-Kollektion aufzunehmen. Für „My Back Was A Bridge For You To Cross“ (Rough Trade) hat sie ihre alte Band Antony And The Johnsons reaktiviert, mit der die Transgender-Sängerin vor 20 Jahren ihre Karriere begann. Die neuen Songs überraschen, denn Anohni hat ein Soul-Album im Stile der 70er-Jahre eingespielt – mit Streichern, Bläsern und hellen, an Curtis Mayfield erinnernden Gitarren. Den Eröffnungssong „It Must Change“ singt Anohni mit flehender Stimme und erinnert damit an Sam Cookes Bürgerrechts-Song „A Change Is Gonna Come“.

Neue Alben: Ahnoni singt im Geist von Marvin Gaye

In ihren Liedern steckt viel Trauer und Schmerz über erlittenes Unrecht und Ausgrenzung. „My Back Was A Bridge...“ ist auch eine Blues-Platte, denn die negativen Erfahrungen, die Anohni als Trans-Mensch machen musste, verbinden sie mit der afroamerikanischen Gemeinschaft, die weiterhin rassistischen Strukturen ausgesetzt ist. Das Album ist reich an außergewöhnlichen Songs wie der Ballade „Rest“ oder dem dunklen „Why Am I Alive Now?“. Darin steckt der Geist der Soul-Ikone Marvin Gaye – fünf Jahrzehnte nach dessen bahnbrechendem Werk „What’s Going On“.

Die US-amerikanische Sängerin und Bassistin Meshell Ndegeocello ist fünf Jahre nach „Ventriloquism“ mit einer neuen Platte am Start: „The Omnichord Real Book“ (Blue Note) hat Ndegeocello während der Pandemie eingespielt. Einige der kürzeren Nummern haben etwas Skizzenhaftes, doch es gibt auch opulente Stücke wie „Virgo“, bei dem drei Schlagzeuger für Druck sorgen.

Eine ganze Reihe erstklassiger Jazzmusiker waren zu den Sessions eingeladen: Jason Moran ist ebenso dabei wie Ambrose Akinmusire (demnächst in der Elbphilharmonie und beim Sommerfestival auf Kampnagel zu erleben), Brandee Younger und Oliver Lake. Dieses „Real Book“ besticht mit seinem Abwechslungsreichtum und seiner politischen Lyrik.