Hamburg. Michael Maertens übernimmt die meistbeachtete Hauptrolle bei den Salzburger Festspielen, als Nachfolger von Lars Eidinger.
Seine Ernennung, Berufung, Krönung – die Grenzen sind da fließend – zum nächsten „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen liegt jetzt einige Monate zurück. Doch ein nicht ganz kleiner Teil von Michael Maertens wirkt immer noch norddeutsch verdutzt über die Aufregung, die sein Engagement für diese Bühnenrolle in Alpennähe losgetreten hat. „Ich weiß nicht, wie das in Hamburg wäre – aber in Österreich …?! Da war ich selbst verwundert.“
Maertens ist nicht nur chronisch bewundertes Ensemblemitglied am Burgtheater und seit 2017 auch noch zum Kammerschauspieler geadelt; er ist bei seinen Auftritten abonniert auf das Feinste vom Feinen, von mindestens Tschechow aufwärts.
„Alles, was so ein kleiner Hamburger in Wien erreichen kann, hab ich in Wien erreicht“, kokettiert Maertens dezent zum Warmwerden, leicht unkorrekt, aber zugleich ziemlich richtig. Spielt er eine Hauptrolle an der Burg, ist das schon mal Thema in den TV-Hauptnachrichten. Glückliches Österreich, so gesehen.
Schauspiel-Star: Salzburgs neuer „Jedermann“ kommt aus Hamburg
Aber die Titelrolle in diesem so speziellen Stück, die Theater-Gallionsfigur bei diesem Riesen-Festival? Übers Wasser wandeln nix dagegen, würde der Salzburger Krimi-Autor Wolf Haas lakonisch vom Spielfeldrand aus kommentieren. „Gratulationen auf der Straße, beim Bäcker, vom Fiakerkutscher …“, staunt Maertens. Dieser „Jedermann“ im Lebenslauf ist dort so unsichtbar wie ein Gesichts-Tattoo mit Neon-Farben.
Maertens, Teil der legendären Thalia-Theater-Dynastie, übernimmt im Juli in Salzburg die direkte Nachfolge von Lars Eidinger, den es, bei aller Liebe zum Blitzlichtgewitter, dann doch nur zwei Sommer in der Produktion hielt. Im März hat Maertens mit dem Text-Lernen begonnen, jeden Tag eine Seite wollte er schaffen.
Wir treffen uns Mitte Mai bei einem Burgtheater-Gastspiel, in einer Schauspielhaus-Garderobe zwischen zwei Burg-Gastspielaufführungen mit Schnitzlers „Das weite Land“, und er ist gut in der Zeit. „Noch fünf Seiten, ich war schneller, als ich dachte.“ Profi eben.
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Warum diese Zusage, als der Anruf kam, nach „27 Sekunden“ Bedenkzeit? „Ich hab nicht mehr darauf gewartet, aber natürlich manchmal da hingeschielt … Groß darüber nachdenken musste ich nicht. Ich muss mich dem stellen.
Und ich weiß auch, dass ich das kann.“ Und nach der Zusage rief Maertens seine Schauspiel-Geschwister Miriam und Kai an. „Beide haben gesagt, Gratulation - ich möchte mitspielen.“
Schauspiel-Star: „Man tut diesem Stück sehr unrecht“
Mit neun hatte dieser Teil der Theaterfamilie Maertens im hessischen Heppenheim seinen ersten Kurzauftritt in Hofmannsthals Stück über das Sterben eines reichen Mannes gehabt, sein Vater Peter Maertens jedermannte dort damals. Ein Grund also: die reine, berufstypische Eitelkeit. Ist so, liegt wohl in der Familie. Vor Liebesbedürftigkeit und Applausheischerei sei er als Schauspieler nun mal überhaupt nicht gefeit. „In dieser Jedermann-Namensliste zu stehen, darauf bin ich schon etwas stolz.“ Denn Maertens ist nun Nachfolger von Bühnen-Urgewalten wie Brandauer oder Voss, Tukur, Ofczarek oder Moretti. Zwei Festspiel-Runden hat Maertens zugesagt, mal abwarten, wie sich der anstehende Wechsel in der Salzburger Festspiel-Direktion darauf auswirkt.
Aber um Himmels willen, dieser krachkatholische Text, das allegorische Knattern, der Mimen-Muff von schon sehr vielen Jahren? Echt jetzt? „Ich finde, da tut man dem Stück sehr unrecht“, entgegnet Maertens den schnell zückbaren Klischees. Nicholas Ofczarek, der ein „hochintelligenter Kollege“ und bis vor Kurzem Maertens‘ direkter Nachbar war (dazu später mehr), habe ihm zum „Jedermann“ gesagt: „Du wirst so eine Freude haben. Den Hamlet und die Richards hast Du schon gespielt, und das hat in seiner Fallhöhe Shakespeare-Dimensionen.“
Der Jedermann-Stoff ist ein „ganz realistisches Auseinandersetzen“, schwärmt Maertens, „wie es wahrscheinlich so sein wird, falls ich einmal eine Krebs-Diagnose bekomme und den Arzt frage: Wie lange hab ich denn noch? Das rührt mich. Das lässt diesen Jedermann wahnsinnig menschlich werden. Das kann man machen, da muss man gar nicht so katholisch sein.“ Und die Sommer-Gage ist doch nicht bloß Schmerzensgeld? „Das Geld …?“, kommt zurück, „darüber würde mancher Film- und Fernsehschauspieler nur lachen.“
Bei derart mächtigen Vorgängern ist das eigene Ding entsprechend schwer zu finden, das ist Maertens natürlich klar, „die spuken alle in meinem Hinterkopf. Aber wichtig ist, es an sich heranzuziehen und sie persönlich zu gestalten.“ Ulrich Tukur beispielsweise? Sehr berührend, gar nicht knatternd. Noch hat Maertens sich nicht mit Eidinger ausgetauscht, das soll aber gern passieren.
„Könnte lustig werden“, hatte die „SZ“ die Prestige-Personalie Maertens kommentiert. „Der normale Zuschauer findet das aber gar nicht so zum Totlachen“, meint Maertens dazu, „der sitzt da drin und freut sich. Mehrere Generationen erfreuen sich dann dieses Spektakels. Lachen kann passieren, am Ende soll es einen aber auch berühren.“
Und bloß, weil dieser Klassiker 1911 von seinem Autor Hofmannsthal auf „JederMANN“ getauft wurde, muss es für Maertens nicht so eindeutig bleiben. Könne gut sein, dass nach ihm eine “Jederfrau“ weitermacht, findet er. Lina Beckmann also, und ihr Mann Charly Hübner als Buhlschaft, in vertauschten Rollen? „Mein Tipp war Sandra Hüller. Aber Lina wäre genial, Charly als Buhlschaft wäre noch besser. Da würde ich sofort reingehen!“
Schauspiel-Star: „Ich spiele gegen die Endlichkeit an“
Ein klassischer O-Ton von Maertens zu seinem Job, der nach wie vor zu mindestens 130 Prozent wahr ist, ist dieser: „Ich will geliebt werden.“ Auf der Bühne stehen und dort gesehen werden, darum ging und geht es ihm, immer. „Das heißt aber nicht, dass mir jegliche Tiefe, jegliches Nachsinnen über die Welt abgeht.“ Mit 16 konnte er „an keiner Glasscheibe vorbeigehen, ohne mir anzusehen, wie hübsch ich bin.“ Das habe sich jetzt, mit 59, erledigt, „weil ich mich gar nicht mehr sehen mag.“
Als Maertens noch am Berliner Schiller-Theater war, trieb er Freunde nach jeder Premiere zuverlässig in den Wahnsinn, weil er stundenlang jedes noch so kleine Detail seines Auftritts durchdiskutiert und vergöttert haben wollte. Ganz so heftig sei es inzwischen nicht mehr. „Ich baue nichts auf, ich stelle nichts her, ich heile oder rette keine Menschen. Ich spiele gegen die Endlichkeit an.“ Womit wir letztlich wieder beim „Jedermann“-Leitmotiv wären.
Die nächste Gesprächs-Kurve führt aber zurück zum Burg-Kollegen Nicholas Ofzcarek. Maertens wohnte tatsächlich nicht nur mit ihm, sondern auch mit Adele Neuhauser („die Bibbi“ aus dem Wiener „Tatort“) und seiner Ex-Frau Mavie Hörbiger unter einem Dach. Zwischen Maertens‘ und Ofczareks Balkon lagen nur drei Meter - praktisch fürs Rollenstudium, wenn man wieder mal gemeinsam in einem Stück besetzt wurde. „Aber jetzt bin ich ausgezogen, leider! Aber nur 300 Meter entfernt. Das ist ja nicht wie hierzulande. In München hat man bei der Wohnungssuche wahnsinnige Probleme – um Gottes Willen, Schauspieler …! In Österreich freut sich die Hausverwaltung.“
Schauspiel-Star: „Intendant?! Schrecklich!“
Maertens‘ Schauspieler-Spielbein ist das Kino. Ende des Jahres soll er in „Das Beste kommt noch!“ neben Til Schweiger zu sehen sein. Für einen Burg-Schauspieler womöglich nicht der allererste Film-Sparringspartner, der einem in den Sinn käme. Und ob die Nachricht, als Schweigers verpeilter Buddy vor der Kamera zu stehen, beim Karriere-Abgleich-Plausch in der Kantine der Wiener Hoch-Kultur-Hochburg so rasend gut ankommt? Da ist Maertens entspannt.
„Das haben vor mir schon ganz viele gemacht. Der berühmte Samuel Finzi hat vier Filme mit ihm gedreht. Peter Simonischek war der erste, mit dem ich darüber gesprochen habe. Er meinte, das musst Du machen, das ist so herrlich! Die sind ja nicht doof. Das ist unser Beruf: Wir können Hamlet und Antigone spielen, doch das heißt nicht, dass wir nicht auch ,Fack ju, Göhte‘ machen. Sandra Hüller hat da mitgespielt. Und war sehr lustig.“
Ernst dagegen ist die Debatte, die Schweigers grenzwertiges Verhalten am Set von „Manta Manta – Zwoter Teil“ ausgelöst hat. „Offensichtlich habe ich Glück gehabt, weil ich bei diesen Dreharbeiten nicht dabei war“, sagt Maertens. „Ich habe einen Menschen erlebt, der wie eine Kerze an beiden Seiten brennt, fast selbstzerstörerisch, sehr leidenschaftlich. Das beeindruckt mich wahnsinnig. Er schadet sich aber selber und kann auch für die Umgebung anstrengend sein. Anstrengende habe ich ziemlich oft erlebt, ich bin da ziemlich hart im Nehmen.“
Eines bleibt noch zu klären: Ob je der Wunsch aufkam, nach so viel Bühnen-Erfahrung den Schritt von der Bühne an den Regie-Tisch zu machen. Oder wenigstens Intendant zu werden. „Nee“, kommt sofort zurück. „Das kann ich nicht. Mein Bruder Kai kann das richtig gut, der kann auch ganz toll Kritik und Tipps geben. Und Intendant!? Schon gar nicht. Da musst du ja ständig Menschen enttäuschen. Nur ganz wenigen kann man sagen, dass sie der nächste Hamlet sind. Immer will jemand was, ist beleidigt oder traurig, nicht genügend Geld … Schrecklich!“