Salzburg. Die Moralpredigt der Festspiele, zum letzten Mal mit Tobias Moretti als Mittelpunkt, feiert auch im Jubiläumssommer sich selbst.
Es schnürlt nicht nur beschaulich, es schüttet das Wasser im Stück, aus Bottichen. Also muss der „Jedermann“, das größte, unsterblichste Theater-Heiligtum der Salzburger Festspiele, kurz vor Beginn ein weiteres Mal vom gut durchgelüfteten Domplatz ins Große Festspielhaus verlegt werden. Schade wegen des dann fehlenden prunkbarocken Ambientes, das aus dem Hofmannsthal-Klassiker eine Art katholisches Bad Segeberg mit Bibelstunden-Aroma macht.
Die Glocken bimmeln indoor lediglich von der Festplatte, die dröhnenden „Jeeeeeeeedeeeeermaaaaahn!!“-Rufe sind überdacht nur halb so erbaulich mahnend. Andererseits aber: Hugo von Hofmannsthals Hybris-Haubitze über das Leben und vor allem das vom Tod begleitete Sterben eines reichen Mannes geht hier eh immer, die Lederhosen-oder-Dirndl-Häufigkeit in den Foyers ist deutlich größer als bei normaleren Festspiel-Terminen. Hier ist man tout Salzburg, hier will man’s sein.
Die Verse des Mysterienspiels knitteln und knattern, dass es eine gewöhnungsbedürftige Art hat, das ständige „itzt“ und „nit“ klingt verstörend nach Pergament-Aushängen auf einem Mittelalter-Jahrmarkt. Dass Regisseur Michael Sturminger seine Neusortierung 2017 auffrischte und mit jazzbarockiger Bühnenmusik neumodisch würzte, tut letztlich wenig zur Sache an sich. Denn im Kern bleibt die Nachricht so sicher und so alt wie das Amen in der Kirche, vor der das Stück an diesem Abend nun doch nicht spielt: Benimm dich, sonst kommt der Sensenmann noch flotter, als du ein letztes Vaterunser beten kannst.
Caroline Peters ist auf interessante Weise fehlbesetzt
Als Buhlschaft der Jubiläumssaison ist Caroline Peters auf interessante, fast schon bizarr faszinierende Weise fehlbesetzt. Die unterintelligent blonde, föhngewellte Femme fatale will man ihr einfach nicht abnehmen, während sie in ihrem Hollywoodkleid wie Marilyn Monroe ein „Happy Birthday“ auf einer riesigen rosa Geburtstagstorte ins Mikro zu hauchen hat. Die ist neu und für den 100. Geburtstag der Festspiele dazugestellt worden. Der Rest der Rolle ist wie immer: was mondänes Rotes tragen, tanzen, nicht sehr gut singen können, auch mal den Jedermann umarmen, Abgang.
Die knapp zweistündige Moralpredigt steht und fällt seit Anbeginn ihrer Zeiten mit dem Jedermann. Und Tobias Moretti, inzwischen auch schon mit drei Dienst-Sommern auf der Uhr, verdient sich seine Festspiel-Gage hart, von Anfang bis Ende mit vollem Körpereinsatz und großartiger Dauer-Emphase in jedem Satz, und sei er noch so holzschnittartig aufzusagen.
Moretti ist als Typ ein anderes Kaliber als einige seiner Vorgänger, kein Hamlet-Double wie Klaus Maria Brandauer, kein Bühnen-Vieh wie Nicholas Ofczarek, keine Schrankwand wie Gert Voss. Er gibt seiner Figur die maßgeschneiderte Pose des windschlüpfrigen Entrepreneurs, der seine Verpflichtungen direkt aus dem Alu-Koffer bezahlt. Dass sein dunkler Business-Anzug mit Glitzerfäden durchsetzt ist, sieht man nur, wenn man der Bühne ganz nah ist. Doch Moretti spielt dieses Outfit-Upgrade für den Saal mit. Er wird dafür aber umso leiser und intensiver, je näher das Ende seines letzten, vom Tod als Bonus spendierten Stündchens naht.
2021 soll ein neuer Jedermann ran
Auf kurze Distanz gesehen, sieht man allerdings auch umso deutlicher das Rumpeln der Regie, das Rauf und Raus der Typen, die irgendwie mit Dasein beschäftigt werden, bis sie ihre Zeilen aufsagen. Selbst eine ehrwürdige Theatergöttin wie Edith Clever als Jedermanns Mutter ist davor nicht gefeit. Bei den Allegorien holt Mavie Hörbiger als Werke viel aus ihrem Part heraus. Doch niemand stiehlt dem Jedermann so prall und paillettenglitzernd die Show wie Tobias Morettis Bruder Gregor Bloéb mit seiner tollen Stimme, als langschwänziger Teufel wie aus dem Kasperletheater.
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Verlässliches Inszenierungsinventar ist der Hamburger Peter Lohmeyer als Tod. Zu Hause das hagere, aber blühende Leben, schleicht er sich hier in stummfilmreifer Zeitlupe, von Kopf bis zur Gürtellinie scheintätowiert und grabsteingrau geschminkt, an sein Opfer an, umgarnt es zunächst und umarmt es am Ende. Ganz große Schauspielkunst ist das vielleicht nicht, aber interessant anzusehen, weil es so sehr drüber ist, ist es doch.
Zusatzapplaus hätte sein Kunststück verdient, unfallfrei auf Plateau-Heels und im schwingenden Seidenkleid über der Biker-Hose auf dem abgeschrägten Bühnenboden herumzutänzeln. Am Rande des Geschehens holt Gustav Peter Wöhler, ein zweiter Gast-Hamburger, das bisschen, was in den wenigen Sätzen seiner Rolle des Guten Vetters steckt, anständig heraus.
2021 soll ein neuer Jedermann ran, Moretti mag nicht mehr, teilte er kürzlich mit. Lars Eidinger wäre als Nachfolger sehr hübsch und total irre, weil komplett gegen den Strich besetzt. Und es gäbe garantiert tolle Instagram-Fotos von hinter der Bühne. Der Thalia-Star Philipp Hochmair war hier 2018 eine bejubelte Krankheitsvertretung, auch der Schauspielhaus-Star-Gast Joachim Meyerhoff wäre als langjähriger Wiener Burg-Schauspieler quasi vorab qualifiziert und eine charmante Widerborstigkeit, mit seiner latenten Überspannung. Doch egal, wer engagiert wird, eines bleibt im Salzburger Sommer sicher: Entweder es regnet, oder es gibt einen „Jedermann“. Oder auch gleich beides.
„Salzburg für jedermann“ Bis 30.8. zeigt Arte Concert täglich Konzerte, Aufführungen und Dokumentationen. www.arte.tv