Hamburg. Pandemiebedingt fand das Festival in diesem Jahr nur digital statt. Es gab einige starke Auftritte und eine echte Entdeckung.

Erst die lange Gerade durch den Alten Elbtunnel, dann aufs Blohm+Voss-Gelände, wo bereits das Leben tobt. Ein DJ legt live auf, vor der Bühne tanzen die Besucher ausgelassen, die bunt angeleuchteten Hafenkräne sorgen für das typische Elbjazz-Flair. Doch, ach, all das ist in diesem Jahr leider nur virtuelle Realität, beeindruckend animiert vom Hamburger Virtual-Reality-Unternehmen NoysVR.

Wer sich einloggt kann als Avatar (eine digitale Figur) diesen Teil des Festivals erleben, sogar mit anderen Festivalbesuchern sprechen oder sich Archivaufnahmen von zurückliegenden Elbjazz-Ausgaben anschauen. Eine hübsche Spielerei, aber natürlich kein Ersatz für das Festival, das nach 2020 auch in diesem Jahr coronabedingt als Publikumsveranstaltung abgesagt werden musste.

Erster Höhepunkt beim Elbjazz: Sängerin China Moses

Die Leerstellen füllen kann da schon eher das auf der Elbjazz-Website und bei Arte Concert am Freitag und Sonnabend aus einem Stellinger Studio gestreamte Live-Programm. Das erlebt seinen ersten Höhepunkt mit dem Auftritt von Sängerin China Moses und ihrer nur für diese eine Show zusammengestellten Band. Ziemlich warm scheint es auf der Bühne zu sein, jedenfalls geraten schnell alle Akteure ordentlich ins Schwitzen. Wie bei einem richtigen Konzert, nur fehlt eben die Reaktion eines Live-Publikums, und die US-Sängerin, die in Paris lebt, kommt nicht umhin festzustellen: „Ist schon merkwürdig, ganz allein so aufgedreht zu sein.“ Dass sich die Euphorie trotz der misslichen Umstände auch per Fernsehbild ins Wohnzimmer überträgt, zeigt ihre große Klasse.

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An der mangelt es Nils Landgren ja ebenfalls nicht, aber der einstündige Auftritt seiner Funk Unit hinterlässt bei allem Groove-Spaß auch gemischte Gefühle. Wie toll wäre es, jetzt mit ein paar tausend Leuten an diesem lauschigen Abend eine rauschende Jazzfunk-Party zu feiern, bei der Band und Fans sich gegenseitig zu immer neue Höchstleistungen treiben. Diese pulsierende Musik braucht die ganz direkte Kommunikation und Landgren ist deutlich anzusehen, dass dies hier nur eine Notlösung ist.

Entdeckungen trotz Digitalformat

Toll allerdings, dass sich auch bei diesem Digitalformat Entdeckungen machen lassen: Etwa Gospel-Soul-Sängerin Michelle David, die mit ihrer Band The Truetones so dermaßen stark abliefert, dass man mit offenem Mund vor dem Bildschirm sitzt und sich fragt, weshalb man von diesem Energiebündel eigentlich bis dahin nicht gehört hatte. Etwas undankbar für den finnischen Trompeter Verneri Pohjola, danach im Rampenlicht zu stehen. Diese Ruhe nach dem Sturm ist zwar hörenswert, passt aber leider nicht sonderlich gut zum aktuellen Hormonhaushalt.

Nach dem weitgehend tollen Freitag (am, nun ja, sehr ausdrucksstarken Gesang von Salvador Sobral scheiden sich die Geister), bietet der Sonnabend zumindest für Jazz-Puristen ein paar Herausforderungen. So interessant der Auftritt von The Notwist, ursprünglich mal als Artist in Residence vorgesehen, ist, dies ist vor allem eine Indieband mit Krautrock-Faible, keine Jazztruppe.

Echtes Festival in Hamburg hoffentlich 2022 möglich

Und die kanadisch-schwedische Sängerin und Akkordeonspielerin Wendy McNeill, die ihnen folgt, liefert facettenreichen, oft düster angehauchten Folkpop ab – die Verbindung zum Jazz erschließt sich da nicht ohne weiteres. Gewiss, die Qualität der einzelnen Auftritte ist hoch, aber die Genregrenzen, die ja ohnehin sehr flexibel sind, werden hier einfach zu sehr ausgedehnt. In diesem Teil des Elbjazz ist schlicht zu wenig Jazz drin.

Insgesamt sind diese zwei Tage dennoch ein Appetitmacher auf das echte Festival-Gemeinschaftserlebnis, das hoffentlich 2022 (3./4. Juni) wieder möglich ist. Der Kartenvorverkauf auf elbjazz.de läuft bereits, bei Arte Concert (arte.tv/de/arte-concert) sind die Konzerte noch bis zum 30. Juni zu sehen.