Hamburg. Vier junge Frauen aus dem Königreich waren mit dem Goethe-Institut zu Gast in Hamburg: Vom Privileg und vom Kampf, eine Künstlerin zu sein.

Saudi-Arabien, der riesige islamische Wüstenstaat mit Erdölschätzen, der durch die Proteste des Arabischen Frühlings als Gewinner hervorgegangen ist. Das Land vermögender Scheichs und verschleierter Frauen, die in ihren Rechten eingeschränkt sind. Das Land, das systemkritische Autoren, Blogger und Frauenrechtsaktivistinnen verfolgt. Eine absolute Monarchie, in der Mohammed bin Salman seit 2017 als Kronprinz und seit 2022 als Premierminister herrscht.

Seitdem MBS das Sagen hat, soll sich vieles in dem Königreich gewandelt haben – wirtschaftlich und kulturell will sich Saudi-Arabien zur Welt hin öffnen. Mit welchen geostrategischen Zielen sei dahingestellt. Die Entwicklung rasant zu nennen ist noch untertrieben. Frauen sollen mittlerweile den größeren Anteil an der arbeitenden Bevölkerung ausmachen, sie dürfen reisen und Auto fahren. Klingt in der Theorie gut. Doch wie ist es tatsächlich, als junge Frau und als Künstlerin dort zu leben?

Frauen als Botschafterinnen eines neues Saudi-Arabiens

„Wenn ich an meine Kindheit in Riad denke, dann hat sich das tägliche Leben total verändert. Es waren damals überhaupt keine Frauen auf den Straßen unterwegs, und in der Schule wurde uns aus religiösen Gründen verboten, Menschen zu zeichnen – schließlich sollten wir nicht Gott spielen. Die Lehrer schnitten sogar Comicfiguren wie Pikachu aus den Ranzen der Schüler. Es gab eine große Furcht vor äußeren Einflüssen“, berichtet Schroog Almalki, 27. Als Künstlerin Fuß zu fassen, wie sie es heute tut, sei undenkbar gewesen. Das Kunststudium war bis 2017 ein Privileg von Söhnen aus wohlhabenden Familien.

Die quirlige Grafikdesignerin aus Riad mit eigenem Instagram-Account kam über Street Art und Skateboarding zur Kunst. Eines ihrer Hauptthemen ist die mentale Gesundheit – darüber zu sprechen war bis vor Kurzem absolut tabu. Schroog Almalki würde gerne Murals große Wandbilder in der ganzen Welt kreieren. Sie ist eine der vier jungen Frauen, die derzeit auf Einladung des Goethe-Instituts für eine Woche zu Besuch in Deutschland ist, um Kontakte zur hiesigen Kunstszene zu knüpfen und sich auszutauschen. Und um Botschafterinnen eines neues Saudi-Arabiens zu sein.

Als Künstlerin zu existieren ist immer wie kämpfen

Die Auswahl der Teilnehmer erfolgte über das Generalkonsulat in Djidda und das Goethe-Institut in Riad sowie deren Partner, das Al Jameel House. Nach drei Tagen in Berlin, wo neben dem Auswärtigen Amt die zeitgenössische Boros-Sammlung, eine Augmented-Reality-Tour durch den Tiergarten, Theater und Künstlerhäuser besucht wurden, ist die Gruppe nun in Hamburg, begleitet durch Rodrigo von Horn, der seit mehreren Jahren die Besucherprogramme betreut.

Ameera Sheikh, 30, ist freiberufliche Künstlerin in der Küstenstadt Djidda, die unweit von Mekka und Medina liegt. Die stylish gekleidete Frau mit auffälliger Sonnenbrille kommt aus einer künstlerisch geprägten Familie. Ihre Schwerpunkte sind Konzeptkunst und Figuren-Design für Animationsfilme und Computerspiele. Auf ihrem Youtube-Kanal gibt sie ihr Wissen weiter. Sie träumt von einem eigenen Studio, „doch als Künstlerin zu existieren ist immer wie kämpfen“.

Ministerium ermöglichte die Teilnahme an der Volta Messe in Basel

Häufig haben Künstlerinnen und Künstler in Saudi-Arabien neben ihrer kreativen Tätigkeit noch ein zweites Standbein oder einen „Brotberuf“ für ein sicheres Einkommen. So wie Lujain Faqerah, 31, die als Psychotherapeutin tätig ist. Sie trägt als einzige Teilnehmerin ein Kopftuch. In ihrer Kunst bringt sie ihre Erfahrungen in der Psychologie ein, gestaltet Kunstbücher, in denen sie über Gefühle und Erlebnisse, auch von Freunden oder Verwandten, reflektiert.

„Es gibt einige Galerien im Land, die sich auf gegenwärtige Kunst spezialisiert haben. Vor allem aber unterstützt das Ministerium für Kultur in Riad junge Künstlerinnen und Künstler und organisiert Ausstellungen“, erzählt Lujain. So habe sie die Möglichkeit neben acht weiteren Teilnehmern bekommen, ihre Arbeiten bei der Volta in Basel, einer großen Messe für zeitgenössische Kunst, zu zeigen. Laut Ministerium soll die saudi-arabische Kultur „dazu beitragen, Brücken des Verständnisses zu bauen“. Man wolle ein Saudi-Arabien bauen, „in dem kreative Geister florieren“.

Das Arabische kehrt in die Alltagssprache zurück, wird wieder hip

Daneben gibt es noch die Misk Foundation, die von Mohammed bin Salman gegründet wurde und deren Schirmherr er ist. Während eines sechsmonatigen Stipendiums können angehende Kreative an Top-Universitäten studieren. Auf diese Weise will der Premier die jungen Talente im Land halten – „für eine bessere Zukunft“, heißt es auf der Internetseite der Stiftung.

Austausch wird gefördert, es werden Gaststudenten aus der ganzen Welt eingeladen. Zur selben Zeit finden die Menschen im Königreich zu ihrer ursprünglichen Identität zurück. War es früher unter jungen Leuten hip, sich auf Englisch zu unterhalten, kehrt das Arabische nun zurück in die Alltagssprache – was sich an einer ziemlich lustig klingenden Mischung aus beiden Sprachen bemerkbar macht.

Als Master-Studentin in London, auch das ist möglich

In Hamburg ist der erste Programmpunkt eine Führung durch die Ausstellung „The Educational Web“ im Kunstverein mit Direktor Milan Ther. In der Ausstellung geht es um die Entwicklung der künstlerischen Ausbildung in weltweiten Projekten jenseits etablierter Hochschulen und Akademien. „Hätte ich gewusst, welche Möglichkeiten ich als Künstlerin habe, hätte ich mich anders entschieden“, sagt Lulua Alyahya nur halb im Scherz.

Die 25-jährige Malerin stammt ursprünglich aus Bahrain, lebt heute in Djidda. Zurzeit ist sie als Master-Studentin an der Goldsmith University in London eingeschrieben – auch das ist mittlerweile möglich. Sie nennt ihre Berufswahl eine „Herausforderung: Als Künstlerin zu arbeiten macht Dinge leichter und schwerer zugleich“, sagt sie beim Essen im Berliner Bahnhof, dem Restaurant in den Deichtorhallen.

Früher gab es getrennte Cafés für Männer und für Familien

Während die vier Frauen munter über ihre Speisenwahl beraten und in ihre Smartphones sprechen, erzählen sie, dass Frauen und Männer sich mittlerweile offen auf der Straße begegnen und sogar miteinander flirten könnten, während es vor dem Arabischen Frühling lediglich zwei Sorten von Cafés gegeben habe: Cafés für Männer und Cafés für Familien. Vorbei die Zeiten, in denen Frauen verschämt kleine Zettelchen mit Liebesbotschaften in die Handtasche gesteckt wurden.

Nach einem Treffen mit Vertretern der Hamburger Kulturbehörde geht es zum erweiterten Kultur-Kennenlernprogramm auf die Plaza der Elbphilharmonie und zum Shopping in die Mönckebergstaße. Der Freitag steht wieder ganz im Zeichen des Austausches: zunächst mit Studierenden und Dozenten der Hochschule für bildende Künste, später mit der in Beirut geborenen Hamburger Galeristin Andrée Sfeir-Semler, die auf Kunst aus dem arabischen Raum spezialisiert ist.

Letztlich wollen alle Künstlerinnen in ihrer Heimat bleiben

Früher, da hätte sie sich erträumt, als Künstlerin in London zu leben, erzählt Lulua Alyahya. Und auch, wenn sie von Berlin, dem Geist und der Energie der deutschen Hauptstadt schwärmt, steht für sie heute fest, dass sie nach dem Studium zurück nach Djidda gehen wird. Weil sich dort so viel zum Guten gewandelt hat. Und weil sie als Künstlerin das Gefühl hat, ein wichtiger Teil der Gesellschaft zu sein, jemand, der diesen Wandel weiter mittragen und entscheidende Themen transportieren kann.

So empfinden auch ihre Kolleginnen. Von einer Residenz im Ausland abgesehen wollen letztlich alle in ihrer Heimat bleiben. „Ich hatte im Gefühl, dass sich bald etwas Fundamentales ändern würde in Saudi-Arabien“, sagt Ameera Sheikh. Ob es nun eine kurze Volte der Geschichte ist oder nicht, ob die Gesellschaft wirklich schon so fortschrittlich ist oder nicht – die jungen, selbstbewussten Frauen verkörpern dieses neue Saudi-Arabien ideal.