Hamburg. Das Hamburger Axensprung Theater feiert mit „Ruin – Weimar, die geschasste Republik“ Uraufführung – erstmals im Tschaikowsky-Saal.

Im Hintergrund der Bühne flimmern Projektionen in Schwarz-Weiß über die Leinwand, Aufnahmen von Demonstrationen, Menschen, Gesichter, Porträts. Eines zeigt den jungen Karl Kaufmann. Er wird im Laufe dieser und der deutschen Geschichte eine unrühmliche, indes zentrale Rolle spielen. Der Mann, der von 1925 bis 1945 NS-Gauleiter in Hamburg war und von 1933 an als Hitlers Reichsstatthalter in der Hansestadt sein verbrecherisches Unwesen treiben sollte, ist vier Jahre zuvor noch ein machtloser Taugenichts mit gerade mal zwölf Gefolgsleuten.

Dass dieser Kaufmann 1929 dem Musiker Karlo begegnet, den er erst später kennenlernen wird, ist einer der Kunstgriffe im neuen Stück des Axensprung Theaters. Nach „Gier“ und „Vulkan“ hat die freie Hamburger Gruppe mit der Uraufführung von „Ruin – Weimar, die geschasste Republik“ ihre Weimar-Trilogie abgeschlossen. Der recht schlichte, bisher nur für Konzerte genutzte Tschaikowsky-Saal im Karoviertel dient akustisch auch den von Karlo-Darsteller und Posaunist Markus Voigt eigens komponierten Liedern und Toncollagen.

Das Ende der Demokratie – mit fiktiven persönlichen Geschichten auf der Bühne

Sie bereichern und untermalen das von Gruppen-Mitbegründer Erik Schäffler alias Karl Kaufmann inszenierte Schauspiel. Dieses kombiniert in typischer Axensprung-Manier wieder mal wichtige zeitgeschichtliche Themen mit fiktiven persönlichen Geschichten. Zwar tauchen aus den ersten beiden Stücken bekannte Charaktere wie etwa der Musiker Karlo oder die jüdische Sängerin und Fotokünstlerin Lucy Levin, von Angelina Kamp mit starker Stimme und viel Präsenz verkörpert, wieder auf. Das von der Landeszentrale für politische Bildung maßgeblich finanzierte Projekt steht mit der Beschreibung der Jahre bis 1933 indes für sich und bietet viel mehr als nur theatralen Geschichtsunterricht.

Die Übergänge der in den historischen Kontext eingebetteten Szenen, auch hier mit Schwarz-Weiß-Projektionen hinterlegt, sind meist wunderbar fließend und gut nachvollziehbar. Die fünf Mitwirkenden füllen dank der historischen Kostüme von Frauke Volkmann jeweils mehrere Rollen aus. Mignon Remé etwa symbolisiert als des Kampfes müde Alt-Kommunistin und -Feministin Martha den Rückzug ins Private in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit, materieller Not und zunehmender Radikalisierung von links und rechts; den historischen Personen Leni Riefenstahl und Reichskanzler Franz von Papen gewinnt sie komische Facetten ab, ohne die Handlung ins Lächerliche zu ziehen.

Auch die reichen Hamburger Familien Reemtsma und Warburg tauchen auf

„Die Demokratie ist ein Experiment unter extremen Bedingungen“, heißt es an einer Stelle im Stück. Oliver Hermann, auch Produktionsleiter von Axensprung, steht als emotional aufgewühlter halbseitig im Gesicht kriegsversehrter Paul Schätzing für einen aufrechten Sozi, der im Reichsbanner Schwaz-Rot-Gold für die Demokratie kämpfen möchte und letztlich doch nicht zu den Waffen greift. Dabei hatte es in Barmbek, auch diesen Fakt zeigt Axensprung auf, ein großes Depot gegeben, finanziert von reichen Hamburger Familien wie Reemtsma und Warburg.

Der Altonaer Blutsonntag, nach einem Werbemarsch der SA am 17. Juli 1932 wurden im damals noch preußischen Altona 18 Menschen erschossen, diente Reichspräsident Hindenburg und Kanzler von Papen nur als Vorwand, mit Notverordnungen zu regieren und das Ende der Demokratie zu forcieren. Das kam nur ein halbes Jahr nach den Rechtagswahlen.

„Kann man etwas erinnern, was man nicht selbst erlebt hat? Muss denn wirklich jede Generation immer wieder dieselbe Erfahrung machen, bevor sie begreift?“, fragt Hermann am Ende der etwas zu langen 100 Minuten in seiner Rolle als Paul, „Muss das ernsthaft jede Generation neu durchmachen…?“ Das als Mahnung für die Gegenwart.

„Ruin“ bis 16.6.. (außer Fr 9.6.), jew. 19.30, Tschaikowsky-Saal (U Messehallen), Tschaikowskyplatz 2, Karten zu 12,-/erm. 3,- unter www.axensprung-ruin.de