Hamburg. Eine Theaterkritik: Das Stück „Vulkan – Weimar zwischen Glanz und Gosse“ zeigt, wie zerbrechlich die Goldenen Zwanziger waren.

Berlin ist nicht Weimar, gewiss. Schwierige Sondierungen heute – labile Koalitionen, eine große Parteienzersplitterung und Radikalisierung nach Ende des Ersten Weltkriegs damals. Die Weimarer Republik taugt aber auch 88 Jahre nach ihrem Ende für neue theatrale Inszenierungen – erst recht mit Hamburger Bezügen. Warum und woran die erste Demokratie auf deutschem Boden scheitern musste, zeigt einmal mehr das Axensprung Theater in „Vulkan – Weimar zwischen Glanz und Gosse“.

Die freie hiesige Theatergruppe, bekannt für die Umsetzung zeithistorischer Stoffe, gibt den zweiten Teil ihrer Weimar-Trilogie im überdachten Innenhof des Museum für Hamburgische Geschichte. Wie im ersten erweckt Regisseur und Schauspieler Erik Schäffler in seiner Stückfassung über die vermeintlich „Goldenen Zwanziger“ zwischen 1925 und 1929 reale und fiktive Personen zum Leben.

„Vulkan“: Hamburg, Berlin und ein Stück Weimar

Im schnellen Wechsel von Szenen, begleitet von Original-Schwarz-Weiß-Bildern auf einer Leinwand, bringt er die Figuren zusammen, lässt sie das Zeitgeschehen auch mal kommentieren. Ein bewährtes Stilmittel des fünfköpfigen Axensprung-Ensembles in dessen Art gelebter und gespielter Geschichte.

Im Zentrum der politischen Geschehens steht Gustav Stresemann, 1923 kurzzeitig Reichskanzler, danach bis zu seinem Tod Außenminister. Schäffler verkörpert ihn gekonnt mit der Widersprüchlichkeit eines diplomatischen Außenseiters, dem die militanten nationalen Kräfte im Nacken sitzen, der für seine Entspannungspolitik gegenüber dem Erzfeind wie sein französischer Kollege jedoch 1926 den Friedensnobelpreis erhält.

„Made in Germany“ mit Ohrwurmcharakter

Die (fiktive) Treffen mit der Hamburger Frauenrechtlerin Martha Knies und der jüdischen Sängerin Lucy Levine bringen Farbe in den hierarchischen Politikbetrieb. Mignon Remé (mit Verve) und Angelina Kamp (mit naiv-gewitztem Charme) spielen ihre Figuren schön aus.

Wobei Kamp mit ihrem Sopran trotz der halligen Atmosphäre auch gesanglich überzeugt und den Bogen von Berlin nach Hamburg schlägt, wenn es ins Varieté-Theater Alkazar an die Reeperbahn geht. Zugleich ein Verdienst vom musikalischen Leiter Markus Voigt, von dessen neu geschriebenen Songs der Titel „Made in Germany“ im Ohr bleibt. Eine Reminiszenz an die Anfänge des Jazz.

Auf Gier folgt Vulkan, auf Vulkan folgt Ruin

Als halbseidener Musiker Carlo („Dem Carlo haut aufs Maul der Lude –ab geht’s zur Chinesen-Bude“) überzeugt Voigt zudem darstellerisch; Oliver Hermann drückt als sein Kumpel Paul die Zerrissenheit eines Kriegsversehrten und die unerfüllte Sehnsucht nach der großen Liebe aus.

Im wahrsten Sinne brisant indes ist die wahre Geschichte des Chemikers und Rüstungs-Exporteurs Hugo Stoltzenberg alias Schäffler, auf dessen Hamburger Firmengelände 1928 ein Phosgen-Unfall mindestens zehn Tote und Hunderte Verletzte fordert (1979 übrigens musste die Firma nach dem „Stoltzenberg-Skandal“ endgültig schließen).

In „Vulkan“ leistet sich Lucy mit der damals revolutionären ersten Leica ein Selbstbild – diese amüsante Anspielung auf den heutigen Selfie-Wahn tut dem Stück gut. Auch wenn es – wohl auch der Weitläufigkeit und der Abstandsgebote im großen Innenhof des Museums geschuldet – nicht ganz an die Dichte von „Gier“ heranreicht, 2019 der erste Teil von Axensprungs Weimar-Trilogie. Der letzte soll im Januar 2022 folgen, dann wieder im Museumsfoyer auf der breiten Treppe. Der Titel: „Ruin“.

„Vulkan“ wieder Do 14.-So 17.10., jew. 19 Uhr, Museum für Hamburgische Geschichte (U St. Pauli, Bus 112), Holstenwall 24, Karten zu 30,-/erm. 20,- unter www.shmh.de; www.axensprung-theater.de