Hamburg. Die ukrainische Kulturmanagerin Alona Karavai wurde im Deutschen Schauspielhaus mit dem Kairos-Preis der Toepfer-Stiftung ausgezeichnet.

Kultur im Krieg, geht das überhaupt? Ja, es geht. Alona Karavai, aktuelle Kairos-Preisträgerin, ist dafür ein Beispiel. Sie erzählt von einer Ausstellung in Kiew, bei der vor wenigen Wochen ein vier Meter breites Bild gehängt wurde. Gerade als die komplizierte Hängung fertig war, machten Künstler und Ausstellungshelfer sich schnell auf den Weg, um im nächstgelegenen Bunker Schutz zu suchen. Wieder einmal bombardierten russische Drohnen und Raketen die Hauptstadt der Ukraine.

Obwohl die Bevölkerung täglich die rücksichtslosen Angriffe erleiden muss, wehren sich Künstler und andere Kulturschaffende wie Alona Karavai gegen die russischen Versuche, ukrainische Kultur auszulöschen, indem Kirchen und Museen entweder zerstört oder geplündert werden.

Alona Karavai: Große Auszeichnung für eine ukrainische Kulturkämpferin

Für ihre beeindruckende Arbeit als Kuratorin und Kulturmanagerin wurde Karavai jetzt im Deutschen Schauspielhaus der Kairos-Preis im Rahmen einer Matinee verliehen. Mit 75.000 Euro ist die von der Hamburger Alfred Toepfer Stiftung ausgelobte Ehrung einer der am höchsten dotierten Kulturpreise in Europa. Nach zweijähriger Corona-Pause ist Alona Karavai die 15. Preisträgerin.

In ihrer Laudatio stellte die abwechselnd in Berlin und Kiew wohnende Fotografin und Schriftstellerin Yevgenia Belorusets die unterschiedlichen Aktivitäten von Alona Karavai vor, die sie zu einer außergewöhnlichen Person in außergewöhnlichen Zeiten machen. Karavai hat in der Ukraine etliche Veranstaltungsreihen initiiert, Gemeinschaftsausstellungen organisiert und Bildungsprogramme ins Leben gerufen.

Karavai ist für die Rettung von mehr als 700 Kunstwerken mitverantwortlich

Sie ist auch für die Gründung der Künstlerresidenz Khata-Maysternya in den Karpaten verantwortlich. Seit Ausbruch des Krieges ist dieser Ort auch ein Fluchtpunkt und Ruheort für Künstler, die vor den russischen Truppen fliehen mussten oder eine Pause von dem Kampfgeschehen brauchen. In ihrer Dankesrede erzählte Karavai zum Beispiel von einem jungen Soldaten, der zwei Wochen lang in Khata-Maysternya gelebt und künstlerisch gearbeitet hat und dann zum Fronteinsatz nach Bachmut zurückgekehrt ist.

Karavai ist auch für die Rettung von mehr als 700 Kunstwerken mitverantwortlich, von denen 400 immer noch in dem geräumigen Bauernhaus in den Karpaten lagern. Andere reisen gerade durch europäische Museen oder sind ihren Besitzern zurückgegeben worden. Immer wieder betont Belorusets in ihrer Laudatio, wie wichtig die kuratorische Arbeit von Karavai für die Autonomie der Kunst und für das Überleben ukrainischer Kultur ist.

Die Preisträgerin Alona Karavai bleibt lieber im Hintergrund

Die Preisträgerin, 1982 im Osten der Ukraine geboren und in Kramatorsk zur Schule gegangen, sieht sich selbst als Vermittlerin, aber nicht unbedingt als jemand, der im Rampenlicht steht. Das Kollektiv sei ihr wichtig, ebenso wie das Ermöglichen von Kunst für andere. „Der Blick aus dem Backstage ist für mich spannender als auf der Vorbühne zu stehen wie jetzt“, sagt sie. „Von hinten kann man immer das ganze Bild sehen.“

Für das siebenköpfige Kuratorium des Kairos-Preises lobte deren Vorsitzender Freo Majer die „großartige Vermittlungsarbeit von Alona Karavai“, die es verstehe, Räume für Begegnungen zu schaffen, in denen Menschen mit sehr unterschiedlichen Auffassungen miteinander diskutieren können und die Möglichkeit zur Verständigung entsteht.

Erinnerungen an die frühere Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler wurden wach

Majer erinnerte in diesem Zusammenhang an die frühere Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler, die ebenfalls die Gabe gehabt habe, scheinbar unversöhnliche Kontrahenten an einen Tisch zu bringen. Im Vorfeld der Preisverleihung hatte Majer die Gelegenheit, Karavai in der Ukraine zu treffen und ihre schwierige Arbeit aus der Nähe kennenzulernen.

Wie gewohnt hatte Ansgar Wimmer, Vorstandsvorsitzender der Toepfer-Stiftung, ein passendes Rahmenprogramm für den Festakt zusammengestellt. Den poetischen Auftakt bestritten die junge Pianistin Marlene Heiss und Josef Ostendorf aus dem Schauspielhaus-Ensemble. Der Schauspieler mit der unverwechselbaren Stimme rezitierte einen Text aus Peter Handkes Drehbuch zu „Der Himmel über Berlin“ und Gottfried Benns Gedicht „Nur zwei Dinge“, Wimmer selber zitierte aus Paul Maars Kinderbuch „Die vergessene Tür“ und benannte in seiner Begrüßungsrede eines der Ziele des Kairos-Preises: Mut machen!

Das Kiewer Ensemble Opera Aperta sorgte für musikalische Glanzpunkte

Auf besonderen Wunsch von Karavai gab es zwischen den Reden und einem Filmbeitrag der 3sat-Kulturzeit Musik der Opera Aperta aus Kiew. Das sechsköpfige Ensemble spielte ungewöhnlich und spannend klingende Stücke, in denen zeitgenössische Musik sich mit ukrainischer Folklore verband.

Als Wimmer und Stiftungsratsvorsitzende Marlehn Thieme die Preisträger-Urkunde überreichten, wurde die strahlende und dankbare Karavai vom Publikum begeistert gefeiert. Den Preis, so sagte sie, verstehe sie nicht als Belohnung für geleistete Arbeit, sondern als Ansporn weiterzumachen. Ganz im Sinne Kairos’, des Gottes für den „rechten Augenblick“.