Hamburg. Seit 2003 schippern die Partyboote von „Frau Hedis Tanzkaffee“ durch den Hafen. Im launigen Interview geben die Macher Anekdoten preis.

Seit Juni 2003 ist „Frau Hedis Tanzkaffee“ der Hamburger Club schlechthin: Wo sonst sieht man beim Tanzen aus dem Fenster auf die Köhlbrandbrücke, Blohm+Voss, die Speicherstadt, die Elbphilharmonie oder die Landungsbrücken? Was mit einer Schnapsidee von Molotow-Mitgründer Andreas Schnoor begann, gehört mittlerweile zum Pflichtprogramm für seefeste Musikbegeisterte: Eine Fahrt auf der Party-Barkasse MS „Hedi“ durch den Hafen.

Freitags und sonnabends, aber auch oft an anderen Tagen legt die „Hedi“ stündlich an und von der Landungsbrücke 10 an und ab, jeweils mit einer neuen Route. Wer will, kann für den Fahrpreis (zumeist 14 Euro im Vorverkauf) bis zu vier Stunden an Bord bleiben. Auch das Abendblatt enterte auf und sprach mit den Betreibern Andreas Schnoor und Hussein Tams über den 20. Geburtstag, zerkratzte Platten und Mann-über-Bord-Manöver.

Hamburger Abendblatt: Die Party-Barkasse Hedi, also „Frau Hedis Tanzkaffee“, entstand aus einem Behördenzwang, kann man das so sagen?

Andreas Schnoor: Das geht durchaus, ja. Ich bin damals aus dem Molotow raus und wollte noch einmal einen Club aufmachen. Bei einem Kater-Spaziergang an den Landungsbrücken entdeckte ich die „Hedi“, aber für Veranstaltungen auf einer festgemachten Barkasse bekam ich keine Konzession – aber für Hafenrundfahrten mit Musikprogramm.

Und genau das ist bis heute das Erfolgsrezept der „Hedi“.

Schnoor: Du wirst gefangen genommen, bekommst aber auf Wunsch nach einer Stunde Fahrt deine Freiheit wieder. Für die DJs ist das super, die können spielen, was sie wollen. Es kann ja niemand fliehen. Kurz vor dem Anlegen müssen natürlich Hits rausgehauen werden, damit die Leute trotzdem an Bord bleiben und weiterbechern und -tanzen.

Club Hamburg: Jede Stunde ändert sich die Route der Hafenbarkasse „Hedi“

Der Skipper, den alle nur „Kapitän Rainer“ nennen, wählt stündlich eine neue Route durch bekannte und unbekannte Hafengewässer. Gibt es da einen festen Fahrplan und haben Sie Lieblingsstrecken?

Schnoor: Ich habe keinen blassen Schimmer. Auch nach all den Jahren frage ich mich immer wieder, wo zur Hölle wir gerade sind. Die Köhlbrandbrücke ist natürlich immer schön.

Wie schaffen Sie den Spagat, populär zu bleiben, aber nicht plötzlich eine Busladung Touristen aus Dinslaken oder einen – auf der „Hedi“ absolut verpönten – Junggesellenabschied an Bord zu haben, die sich nur eine im Vergleich sehr günstige Hafenrundfahrt gönnen wollen?

Schnoor: Durch unsere Musikauswahl kann man schon einiges steuern. Und wir kommunizieren das Verbot von Junggesellenabschieden und großen, nervigen Gruppen immer sehr deutlich, denn wir wollen, dass die „Hedi“ ein Club bleibt und keine Hafenrundfahrt.

20 Jahre sind eine lange Zeit für einen Club in Hamburg. Hat sich das Feiern an Bord oder das Publikum seit 2003 verändert?

Hussein Tams: Auf jeden Fall. Die „Hedi“ ist kein Geheimtipp mehr für eine kleine Gruppe von Musikenthusiasten, es sind daher auch mehr Touristen mit auf Fahrt. Früher sind auch bei den späteren Abfahrten an einem Abend noch viel mehr Leute spontan an der Abendkasse zugestiegen, aber seit Corona entert der Großteil des Publikums mit Vorverkaufskarten bei der ersten Abfahrt, danach gibt es keinen bemerkenswerten Austausch mehr.

Schnoor: Aber es fängt schon wieder an, sich zu normalisieren. Corona ist gefühlt schon seit zehn Jahren vergessen. Aber das Wichtigste war immer die Crew, die sich leidenschaftlich mit der „Hedi“ identifizierte und den Kahn am Laufen hielt. Ich fahr ja nicht mehr so oft mit, ich bin mittlerweile eher der Hausmeister.

Tams: Und der Gärtner, wie man hier an den neuen Pflanzenpötten sieht.

Knapp hundert Party-Passagiere finden auf der MS „Hedi“ Platz

Auch Bands spielen auf der MS „Hedi“, hier die Hamburger Infelt beim Reeperbahn Festival 2009.
Auch Bands spielen auf der MS „Hedi“, hier die Hamburger Infelt beim Reeperbahn Festival 2009. © matias boem

Wie groß ist denn die Crew der „Hedi“?

Tams: Mit dem erweiterten Kreis sind es 20 Leute, in der Hauptsaison arbeiten gleichzeitig 14, 15 davon.

Viele der DJs wie Jakob The Butcher oder Malinka gehören auch seit vielen Jahren zur Besatzung. So kitschig es klingen mag, aber ist die „Hedi“-Crew auch eine Art Familie gworden?

Tams: Ich würde sofort sagen: ja!

Schnoor: Wir sind sogar alle miteinander verheiratet. Gehen darf niemand. Und es kommen neue DJs dazu, wenn die alten ins Heim müssen. Ich habe den Namen „Tanzkaffee“ damals bewusst und vorausplanend gewählt, damit wir auch in 30 Jahren, wenn wir alle Senioren sind, eine Perspektive haben.

Trägt sich das Konzept denn noch finanziell? Knapp 100 Passagiere sind erlaubt, Betriebskosten steigen.

Tams: Wenn man gut kalkuliert, ja. Aber reich ist von uns keiner geworden, wir haben keine Häuser, Wohnungen, Autos, wir fahren Fahrrad.

Schnoor: Aber: Ich bin seit 17 Jahren krankenversichert.

Club Hamburg: Auch Livemusik gibt es an Bord

Neben Partys und Lesungen gibt es auf der „Hedi“ auch Konzerte, Jon Spencer, Jennifer Rostock, Frank Turner, Bela B und viele weitere spielten bereits auf schwankenden Planken. Das ist sicher eine besondere Herausforderung?

Schnoor: Ja, stur reinbuchen ist keine gute Idee. Schließlich gibt es auf der „Hedi“ keinen Backstagebereich, nur ein WC und sehr begrenzte Kapazitäten für Instrumente, Technik – und Fans. Das muss eine Band schon sehr konkret wollen. Aber in unserem Geburtstagsmonat Juni gibt es mehr Bands als sonst, dazu viele, viele DJs von früher, die ganze alte Suppe wieder zusammengerührt.

Was waren Ihre persönlichen unvergesslichen Törns auf der „Hedi“?

Tams: Je älter ich werde, desto anfälliger werde ich für das Schwanken. Aber früher, als ich noch Schallplatten aufgelegt habe, wurden wir einmal von der Bugwelle eines entgegenkommenden Frachters überrascht – hinten in der Bar kippte der Kühlschrank aus, und der Tonarm des Plattenspielers kratzte einmal über die komplette, sehr teure, sehr seltene Platte aus den 60er-Jahren. Ich dachte mir nur: „Wenn ich hier noch heil runterkomme, mache ich das nie wieder.“

Schnoor: Zum Glück sind starker Wellengang, Eisberge oder Piraten selten. Aber einmal drückte mir ein Gast mit einem „Halt mal“ sein Handy in die Hand und machte einen Köpfer in die Elbe. Alles brüllte „Mann über Bord“, Rainer fuhr ein Notfallmanöver, und wir schafften es gerade noch, den Spinner vor einem anfahrenden Containerschiff rauszuholen. Der fragte noch „hab ich jetzt die Gelbe Karte?“ Nee, so was von Rote Karte.

Wer springt, fliegt.

Schnoor: Das ist absolut lebensgefährlich. Aber toi, toi, toi, in 20 Jahren und 25.000 Gästen im Jahr ist noch nie etwas Ernsthaftes passiert.

Was wünscht sich Frau „Hedi“ zum 20. Geburtstag?

Tams: Dass die Stadt die subkulturellen Spielorte noch mehr anerkennt und zu schätzen weiß. Ein bisschen ist da ja passiert seit Corona, das hat auch uns sehr geholfen, das muss man zugestehen.

Schnoor: Kultur ist ja nicht nur in dem hohen Haus voller Arien da hinten. Sondern sie fährt auch daran vorbei.

„Frau Hedis Tanzkaffee“ St: Pauli-Landungsbrücken, Brücke 10, Innenkante, Infos, Programm und Tickets unter www.frauhedi.de