Hamburg. 60 Minuten begleitet das Abendblatt einen Hamburger an seinem Arbeitsplatz. 21–22 Uhr: Jakob von Schubert, DJ auf der MS „Hedi“.
Seine Kopfhörer hat er nur halb oder gar nicht aufgesetzt. Er dreht an Knöpfchen und zappelt mit seinen Beinen zum Takt der Musik. Jakob von Schubert ist in bester Laune. Ist er im Dienst auf der MS „Hedi“, wird aus dem Mann im weißen Unterhemd „DJ Jakob the Butcher“. DJ Jakob zeigt nicht nur gern seinen muskulösen Oberkörper, er mag es auch, andere an seinem Musikgeschmack teilhaben zu lassen. Von seiner Titelauswahl scheint er selbst ziemlich angetan zu sein. Mit Recht. Es läuft an diesem Abend gut, und er trifft den Geschmack seiner Zuhörer: Die rund 100 Passagiere feiern, tanzen, trinken und schunkeln in Hedis Tanzkaffee im Takt der Elbe-Wellen. Es ist Sundowner--Party.
Seit zwei Stunden liefert DJ Jakob den Soundtrack zum Elbtörn. Jetzt um 21 Uhr ist sozusagen der Siedepunkt erreicht. Viel mehr geht nicht. Es gab auch schon Abende, an denen das Publikum nicht mitzieht. Dann lehnt er sich irgendwann nur noch zurück.
Für einen Mittwochabend ist das Verhalten partywilliger Großstädter heute ganz ordentlich. Für einen Sonnabend dagegen wäre die Stimmung eher mau, sagt Jakob von Schubert. Aber die Männer in ihren Sneakers und Jeans und die Frauen in ihren engen Hosen, kurzen Tops und weißen Turnschuhen müssen am nächsten Morgen früh raus und sind daher etwas weniger ausgelassen, als sie es auf einer Wochenendtour wären. Gin Tonic läuft trotzdem. Diesen reichen die beiden „Hedi“-Mitarbeiterinnen an diesem Abend am häufigsten über die Bartheke.
Manchmal hat die Sundowner- Party ihren Namen verdient
Von seinem Mischpult aus, direkt neben der einzigen Toilette an Bord, hat der DJ die Barkasse und ihre Passagiere im Blick. Es ist eng, sehr eng. Unter der Discokugel und den Blumengirlanden aus Plastik ist Jakob für sich, in seiner eigenen Musikwelt und doch mittendrin. Ohne ihn wäre die „Hedi“ nur eine Barkasse und kein schwimmender Club mit Bar, wechselnden DJs und Bands. Innerhalb der vergangenen 13 Jahre hat sich Hedis Tanzkaffee als feste Konstante auf der Elbe und im Hamburger Nachtleben etabliert. Stündlich legt die Barkasse abends an und ab. Wenn Platz ist, kann eingestiegen werden. Verlässt aber niemand das Boot, müssen die Wartenden es eine Stunde später wieder probieren.
Jakob von Schubert ist seit zwei Stunden bei der Arbeit. Der Abend ist perfekt für die Sundowner-Party. Tatsächlich geht die Sonne an diesem seltenen Hamburger Sommerabend bilderbuchmäßig über der Elbe unter, während der Vollmond neben der Elbphilharmonie aufgeht. Hach, seufz. Da werden beim Tanzen auch immer wieder die Handys zum Fotografieren gezückt. Kapitän Reiner Spickmann steuert die „Hedi“, die tagsüber als normale Hafenbarkasse unterwegs ist, jede Stunde in andere Ecken des Hafens. Mal geht’s in den westlichen Bereich, mal bis Waltershof und zurück – immer vorbei an Containerriesen, Hafenkränen. Hamburg pur eben. Wer jetzt in den Beach-Clubs an der Elbe den Abend ausklingen lässt oder am Elbstrand sitzt, sieht die MS „Hedi“ als lärmenden, bunt aufleuchtenden Partydampfer über die Elbe schippern. Irgendwie lässig. Irgendwie lustig.
Lässig steht auch DJ Jakob an den Reglern. Die Hosenträger hängen locker über der Anzughose. Seinen Kopf versteckt er unter einem braunen Hut. Er zieht eine CD nach der anderen aus dem CD-Buch, steckt sie in den Player. Mit Laptop arbeitet er nicht. Er hat Berührungsängste. „Ich würde bloß mein Getränk darüber verschütten.“ Jede seiner CDs ist penibel beschriftet, so weiß er genau, an welcher Stelle welcher Titel kommt. „Das ist so eine nerdige Sache von mir“, sagt er. Für einen DJ, der für Spaß und Party sorgt, erscheint DJ Jakob ganz schön ernst. Er sagt Sätze wie: „Musik ist nicht nur Spaß. Es geht um Intimität, darum, eine Beziehung zur Musik aufzubauen.“ Deswegen stört ihn auch der Mainstream oder der Trubel um bestimmte Stücke. „Der Hype vertreibt die Intimität.“ Aber Peter Fox spielt er dann trotzdem, obwohl auch das eher Mainstream ist. Als 15-Jähriger hatte er eine Beziehung zu Death Metal, später war es die Musik der 60er-Jahre, dann Tanzmusik.
Tanzmusik? Arschwackeln mit einem Stück Wehmut
Jakob von Schubert trinkt einen Schluck Whisky und raucht dazu Zigarillos. Das macht der 35-Jährige nur während der Arbeit. In der „Hedi“-Saison zwischen März und Dezember legt er etwa fünfmal im Monat auf der Barkasse auf, ansonsten auf dem Hamburger Berg, auf Hochzeiten und am Spielbudenplatz. Seeed ist gerade an der Reihe mit „Ding“. Musik, heißt es in der Ankündigung zu diesem Abend, müsse dreckig sein, Tanzmusik müsse gierig machen, verletzlich und gefährlich sein. „Sie muss berauschen, und sie muss erden, und dazu braucht sie den Blues.“ Der Blues, das Melancholische, ist das Markenzeichen des Butchers, des Schlachters. Er legt Sachen auf wie Rhythm ’n’ Blues, Elektro Swing, Cumbia, Balkan Beats, Reggae Fusion und Boogaloo. Seine Musik ist Tanzmusik, die den Blues hat. Mit den Worten von DJ Jakob: „Zu der man den Arsch wackeln kann, mit einem Stück Wehmut.“
So wild und exzentrisch sich Jakob von Schubert als DJ gibt, so bürgerlich ist sein anderes Leben. Das hat so gar nichts vom Kieztreiben, von durchgefeierten Nächten, Whisky und Zigarillos. Tagsüber arbeitet Jakob von Schubert als Aushilfslehrer und unterrichtet von Klasse fünf bis 13 Religion. Gerade studiert der DJ, der Politikwissenschaftler ist, auf Lehramt. Weil die Arbeit auf der MS „Hedi“ nicht bis tief in die Nacht geht, sondern nur bis 22 Uhr, schippert er Richtung bürgerlicher Existenz. „Ich möchte jetzt etwas Ordentliches machen“, sagt er. In den Clubs wird er künftig nur noch am Wochenende auflegen.
Und auch wer ständig abends über die Elbe schippert wie er, verliert nicht den Blick fürs Schöne. „Ich gucke mich auch immer wieder um. Ich liebe diese Stadt.“