Hamburg. Die ehemalige Teenieband entfesselt in der Großen Freiheit 36 große Begeisterung – auch wegen der Outfits von Bill Kaulitz.
Schon als der Vorhang sich öffnet, steigert sich das Kreischen der Menge in himmlische Höhen. Das mag an der Musik von Tokio Hotel, vielleicht aber auch an dem Kostüm von Sänger Bill Kaulitz liegen, einem hautengen Glamrock-Anzug mit langen, ledernen Arm-Fransen – und freiem Blick auf eine silbern glitzernde, knappe Unterhose. Dazu Plateau-Schuhe und eine im Wind eines Ventilators wehende blonde Föhnfrisur. Kaulitz gibt eine grandiose genderfluide Kunstfigur ab, die für alle irgendwie anschlussfähig ist. „Moin, Moin Hamburg!“, sagt er freundlich.
Tokio Hotel: Bills Glitzer-Slip sorgt für Kreischalarm
Die einstige Teenie-Band Tokio Hotel kann noch immer auf eine stabile Fan-Basis bauen. 2000 von ihnen sind in der ausverkauften Großen Freiheit 36 – und sie erleben eine fulminante Show.
Jeder Song wird mit großer Euphorie begrüßt. Von „White Lies“ über „The Heart Get No Sleep“ bis „We Found Us“. Musikalisch liefert das Quartett noch immer einen saftigen Breitwandrock ab, ergänzt um Spuren von wohl dosiertem, manchmal düsterem Pop-Pathos. Die Band hat einige wirklich gelungene Songs im Gepäck. Das sind meistens die, die dahin gehen, wo es auch mal wehtut. „When It Rains It Pours“ zum Beispiel, „Schwarz“ oder „Feel It All“.
Das Publikum singt jeden Song – auch die englischsprachigen – textsicher mit
Das teilweise mit der Band gealterte, aber noch immer vergleichsweise junge Publikum singt jeden Song – auch die englischsprachigen – textsicher mit. Als Bill Kaulitz fragt, wer von den Anwesenden Fan der ersten Stunde ist, recken sich fast alle Hände in die Höhe. Das muss man erst mal schaffen.
Die Besetzung von Tokio Hotel ist noch immer wie früher. Gitarrist Tom Kaulitz – der auch durch seine Ehe mit Heidi Klum die Gazetten füllt – bearbeitet sein Instrument mit expressivem Schwung und gönnt sich zwischendurch gelegentlich einen Schluck Bier. Georg Listing trägt die Songs mit großer Sicherheit durch sein Bass-Spiel. Den Blicken der Zuschauer weitgehend entzogen, ackert Gustav Schäfer im Hintergrund am Schlagzeug. Längst ist die einstige Teenie-Band Tokio Hotel eine erfolgreiche Marke mit mehr als zehn Millionen weltweit verkauften Alben geworden.
Konzert Hamburg: Einst wurden Bill und Tom Kaulitz mit Eiern beworfen
Viele Höhen und Tiefen haben die Band-Mitglieder in all den Jahren erlebt, vor allem die in Leipzig geborenen und lange in Magdeburg wirkenden Zwillingsbrüder Bill und Tom Kaulitz: etwa vor ihrem Haus campende Fans oder Gegner, die sie mit Eiern bewarfen. Irgendwann wurde es ihnen zu bunt, sodass sie in die USA zogen, wo sie immer noch leben. Von dort versenden sie auch ihren angesagten Podcast „Kaulitz Hills – Senf aus Hollywood“.
Aber so ein Abend in der alten Heimat stimmt die Band dann doch ein wenig melancholisch. Vor einem Hamburg-Konzert seien sie immer extrem aufgeregt, bekennt Bill Kaulitz, der sich nahbar und fröhlich gibt und den Dialog mit dem Publikum sucht. Anfangs noch etwas verhalten, nimmt seine Stimme bald an Volumen zu. Für großes Entertainment sorgen auch seine mehrfachen Kostümwechsel: Vom Glitzer-Einteiler geht es in ein kanariengelbes Outfit mit Nieten-Lederjacke, dann in ein geometrisches David-Bowie-Kostüm und zuletzt in einen sehr schicken grünen Pailletten-Anzug.
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Im letzten Drittel werden die Songs, darunter „Run, Run, Run“ und „Love Who Loves You Back“, elektronischer und tanzbarer. Und am Ende erklingt als Zugabe natürlich der Song, auf den hier alle warten: die unvermeidliche Hymne „Durch den Monsun“. Fazit des Abends: Tokio Hotel macht seine Anhänger noch immer glücklich. Mit dieser Band ist noch lange zu rechnen.