Hamburg. Der Mann macht immer weiter, auch vor 12.000 in der Barclays Arena. Grönemeyer auf der Bühne? Immer am Duracell-Tänzeln. Unbezahlbar.

Was sollte es anderes sein als ein Ereignis, wenn der, in langen Zeiträumen gedacht, vermutlich wichtigste Popmusiker der Deutschen groß in Hamburg auftritt? Der Mann, der die deutsche Seele repräsentiert wie kein anderer? Mit dessen Liedern Generationen aufgewachsen sind? Die ältesten Hörerinnen und Hörer von Herbert Grönemeyer waren jung, als „Männer“ herauskam. Im vergangenen Jahr fiel, Corona-bedingt, Grönemeyers Tournee aus, darunter der 20-Jahre-„Mensch“-Termin im Volksparkstadion. Und so war es nun der Vatertag 2023, an dem Grönemeyer sein „Außen hart, innen ganz weich“ in die Barclays Arena knödelte. Bollerwagen mit leeren Bierkisten wurden übrigens nicht vor der Halle gesichtet.

Besser so. Man brauchte Kondition. Grönemeyer spielte intensive zweieinhalb Stunden, mehr als 30 Songs. Er sang wieder über große Gefühle, Verluste, ja, über das Große an sich, das Leben. Man kann sagen, dass dieser Mann, der jetzt 67 ist, die Menschen immer berührt hat, auch mit Kitsch, der nicht störte – und gerade live klappt das noch immer. An diesem Abend mit Sicherheit von Anfang an, es waren ja eh keine Leute da, die von Grönemeyer noch groß überzeugt werden müssen.

Herbert Grönemeyer in der Barclays Arena: Einmal Innerlichkeit für alle, aber danach gleich das zackige „Das ist los“.
Herbert Grönemeyer in der Barclays Arena: Einmal Innerlichkeit für alle, aber danach gleich das zackige „Das ist los“. © THORSTEN AHLF / FUNKE FOTO SERVICES | Thorsten Ahlf

Herbert Grönemeyer: Einmal Innerlichkeit für alle

Er legte vor 12.000 Besucherinnen und Besuchern mit den gerade veröffentlichten Stücken los. Der Gang zum der Bühne vorgelagerten Flügel. Grönemeyer ohne Band, und ein weiterer seiner so vielen Durchhalte-Songs – „Tau“, brandneu aus der Balladenwerkstatt des Meisters. Einmal Innerlichkeit für alle, aber danach gleich das zackige „Das ist los“ also. Muss ja so sein, das ist der Titel von Album und Tour. Jenes neue Album ist frisch und elektronisch geraten; cooles Ding, Grönemeyer hat immer noch Lust auf Neues.

Im Stehplatzbereich hatte er die Schwenkearme und Refrainmitsänger gleich auf seiner Seite, da brauchte es keine Aufwärmphase. „Wir geben alles, dass es ein zündender, schöner, heiterer Abend wird“, rief Grönemeyer ins Publikum – hätte er nicht tun müssen, die Leute wissen eh, dass er alles für sie gibt.

Grönemeyer war im steten Animationsmodus unterwegs

Aber es gibt die Logik bei Konzerten von Superstars mit gigantischer Hit-Backlist: Die Gassenhauer müssen auch schon früh eingestreut werden. Nach dem sehr livetauglichen „Los jetzt, tanzen“ kamen dann schon „Bochum“, „Männer“, „Was soll das“. Grönemeyer („Ich sehe unglaublich gut aus, meine Oberschenkelmuskulatur ist immer noch verhältnismäßig straff“) war im steten Animationsmodus unterwegs, die Halle bebte. Ein Volkssänger, keine Frage: Wenn er will, dass die Leute seine Worte singen, dann tun sie das auch.

Man kann das übrigens schon gut zusammenbringen: Den im vorgerückten Alter noch wie aufgezogen über die Bühne tobenden Musiker und den überlegt gesellschaftlich und politisch Stellung beziehenden Kommentator Grönemeyer, der unlängst harsch über Exkanzlerin Merkel urteilte. Aber auch, was deren Nachfolger angeht („Ich finde die Kommunikation von Herrn Scholz insgesamt dramatisch schlecht“), war der selbst übrigens auch auf der Bühne der Barclays Arena durchaus gesprächige Grönemeyer kritisch.

Die Hamburgerinnen und Hamburger sangen nach Kräften mit

Nun, norddeutsche Maulfaulheit musste er in Hamburg nicht fürchten. Die Hamburgerinnen und Hamburger sangen nach Kräften mit, und sicher wären sie, als „Bochum“ kam, selbst gerne aus dem Westen. Die Stadt im Pott? An diesem Abend die wahre Perle.

Grönemeyer hat mit seinen Stücken immer alle gemeint, auch wenn er oft, in diesem unverwechselbaren Sprachgestus (elegant war er nie, aber erfinderisch), von sich gesungen hat. Das schöne „Sekundenglück“ vom vorletzten Album „Tumult“ ist einer der sentimentalen Feelgoodsongs im Repertoire. Man musste auch in der Barclays Arena ein Zyniker der ganz harten Sorte sein, um die Freude am Menschsein nicht mal unwidersprochen hinnehmen zu können. Sollte jemand, der Grönemeyer seit Langem treu ergeben ist, seine Teenager-Tochter mitgebracht haben und die sich über das Duracell-Getänzel des singenden Onkels auf der Bühne gewundert haben – hier der Hinweis: Läuft sicher gut auf TikTok.

„Bleibt alles anders“ ist immer noch ein formidabler Rocksong

„Der Schlüssel“, ein Stück vom neuen Album, handelt, erklärte Grönemeyer dem Publikum, von den Flüchtlingen, die seit 2015 nach Deutschland kamen. Ein Empathie-Song, es ist gerade auch wieder die Zeit dafür, der Ukraine-Krieg und so. Danach das deutschtürkische „Doppelherz/Iki Gönlüm“, noch ne Botschaft aus der Lebenswirklichkeit, gut. Bei „Oh, oh, oh“ intonierte die Menge zur Freude Grönemeyers („Sauber durchgesungen!“) praktisch unaufgefordert neue Verse mit. Ist ja immer so die Frage, wie die jüngsten Arbeiten so ankommen. Bei „Der Weg“ (Lichtermeer, klar) und „Behutsam“ saß er wieder am Klavier, Letzteres: ein etwas zu groß dimensionierter Schmachtfetzen, eher unter- als überwältigend.

Im Vergleich mit Udo Lindenberg und Marius Müller-Westernhagen ist Grönemeyer sowieso immer der mit seinen Appellen an Herz und Bauch nahbarste Künstler gewesen. Der interessanteste sowieso: „Bleibt alles anders“ (im Zugabenteil) ist immer noch ein formidabler Rocksong. Und wer in die Barclays Arena gekommen war, um noch mal am lebenden Objekt Textarbeit und Sprachanalyse zu exerzieren, der konnte nur zu dem Schluss kommen: geile Lyrics hier. Suggestiver im blendenden Assoziationsgeflacker als Herbert ist seitdem eigentlich keiner gewesen. Deichkind ist kein guter Vergleich, übrigens, die sind ja viel zu fröhlich.

Seine besten Lieder sind Gedichte

Bei Grönemeyer ist selbst der Text von „Mensch“, jenem Lied, das man wahrscheinlich einen perfekten Popsong nennen muss, noch abstrakt genug, um auf der Verstandesebene nicht unmittelbar und komplett vorbuchstabiert zu sein. Aber halt mit so viel Gefühl ausstaffiert: purer Grönemeyer. Seine besten Lieder sind Gedichte, und man hört halt eh nur mit dem Herzen gut.

2017 überredete Grönemeyer Coldplay-Chef Chris Martin in der Barclays Arena zum „Mensch“-Duett. Konnte man fast ein wenig bespötteln, genauso wie seinen überlangen Auftritt beim Global Citizen Festival anlässlich des Hamburger G-20-Gipfels. Damals waren die Leute eher wegen Shakira und Coldplay da. Herbert gab dennoch alles.

Herbert Grönemeyer gehört zum Popkulturerbe

Am Donnerstagabend ging es nur um Grönemeyer, der seit mehr als 40 Jahren der Nation Soundtracks für den Alltag liefert. Vielleicht kann man es so sagen: Wenn einer es schafft, dass Tausende, Menschen aus stabilen Verhältnissen, eine Zeile wie „Alkohol ist dein Sanitäter in der Not“ immer noch hingebungsvoll mitgrölen, dann gehört er zum Popkulturerbe.

Apropos: Frauen sollen alten weißen Männern wie ihm Dampf machen, sagte Grönemeyer und spielte dann seinen neuen Song „Turmhoch“, ein Lied, genau: für alle Frauen. Die vielen Zugaben („Flugzeuge im Bauch“, jazzig, „Halt mich“) verlängerten anschließend Grönemeyers Hamburg-Comeback auf eine angemessene Länge.

Mensch, Grönemeyer. War kein ganz schlechtes Konzert. Auch dafür danke.