Hamburg. Klaus Maria Brandauer erzählt, warum er manche Rollen ablehnt und wie er heute zu „Jenseits von Afrika“ steht.

Er gilt als einer der größten lebenden Schauspiellegenden: Klaus Maria Brandauer spielte bereits unter dem großen Fritz Kortner. Seit 1972 ist er Ensemblemitglied und Regisseur am Wiener Burgtheater. Zuletzt stand er in Hamburg anlässlich eines Gastspiels in Peter Steins Inszenierung von Kleists „Der zerbrochne Krug“ als Dorfrichter Adam auf der Bühne. Brandauer wurde außerdem mit Filmrollen wie „Mephisto“ (1981) oder „Jenseits von Afrika“ (1985) einem breiten Filmpublikum bekannt.

Nun begibt er sich in dem Programm „Brandauer liest Mozart“ gemeinsam mit dem Pianisten Sebastian Knauer auf eine große literarisch-musikalische Jubiläums-Tournee: Am 22. Juni wird Klaus Maria Brandauer 80 Jahre alt. Begegnung mit einem Unermüdlichen.

Klaus Maria Brandauer: „Das Obrigkeitsdenken hat Mozart gar nicht gefallen“

Hamburger Abendblatt: Herr Brandauer, Sie begeben sich auf eine literarisch-musikalische Reise von Salzburg nach Paris und zurück anhand des Briefwechsels zwischen W.A. Mozart, seinem Vater Leopold Mozart und Josef Nepomuk Bullinger, einem Freund der Familie. Welche Einblicke geben diese Texte?

Klaus Maria Brandauer: Die Texte offenbaren, dass der Mozart gerne weggegangen ist aus Salzburg. Er konnte Salzburg nicht leiden. Dieses Obrigkeitsdenken und das Schlecht-behandelt-Werden durch die sogenannten Vorgesetzten – in dem Fall der Erzbischof – haben ihm überhaupt nicht gefallen. Er konnte nicht auswählen, wohin er fährt, das hat der Vater für ihn gemacht, aber er ist gerne in die Ferne gefahren. Und so hat Mozart halb Europa kennengelernt, gelegentlich war auch seine Schwester Nannerl dabei. Sie spielten mit dem Vater, und es stellte sich heraus, dass die Nannerl eine ausgezeichnete Pianistin und der Wolfgang ein genialer Musiker und ein ausgezeichneter Komponist war. Manchmal war es ein wenig überfordernd, weil der Wolfgang ja bei schwacher Gesundheit war. Da hat der Vater ihm schon einiges zugemutet.

War es ein gutes Verhältnis?

Ich glaube, das ist wie bei uns allen. Manchmal ist es gut, manchmal nicht so. Manchmal findet man grauenvoll, was der Vater einem vorschlägt, aber weil er der Vater ist, macht man es.

„Durch Mozarts Beispiel wurde ich irgendwie befreit“

Ist Mozart ein musikalischer Wegbegleiter für Sie?

Ich habe ihn entdeckt, weil mir meine Mutter ein Buch geschenkt hat – damals war ich auf dem Gymnasium – und gesagt hat, lies das einmal, da ist einer, der bereist die ganze Welt mit seinem Vater, gibt Konzerte und war trotzdem ein ausgezeichneter Schüler. Dieser Hinweis war gar nicht nötig! Es war aber nicht die Zeit, in der man zurückgeredet hat. Durch sein Beispiel wurde ich irgendwie befreit. Ich habe mich auch etwas zu sagen getraut.

Wenn Mozart Ihr musikalischer Begleiter ist, wer war Ihr literarischer Begleiter?

Shakespeare, aber es ist leicht, so etwas zu sagen, das wäre geradezu anmaßend. Aber da fühle ich mich zu Hause.

„Ich will genauso wie früher die Welt besser machen. Aber ich weiß, wie schwer das ist“

Als Sie mit diesem Beruf anfingen, wollten Sie die Welt besser machen. Sind Sie heute auch noch Idealist?

Ich will genauso wie früher die Welt besser machen. Aber ich weiß inzwischen, wie schwer das ist und was dazugehört. Das Erste was dazugehört, ist, dass man mal auf sich selber Wert legt. Ich habe gewusst, dass mir vieles fehlt. Dass ich nur mich selbst und die Freunde beflügeln kann. Ich habe nur Freunde gerngehabt, die mich ab und zu gelobt haben.

Hilft das Theater, die Ambivalenzen von Gut und Böse auszuhalten?

Ja, schon. Wir kennen unsere Möglichkeiten. Aber es wird immer schwieriger, einem jungen Menschen zu erklären, wie komplex das ist. Das sind die besonders wichtigen Fragen. Kain und Abel und da beginnt es.

„Wenn Menschen sagen, sie interessieren sich nicht für Politik so ist das eine sehr dumme Haltung.“

Müssen sich Kunstschaffende politisch positionieren?

Ja. Aber eigentlich jeder Mensch. Wenn Menschen sagen, sie interessieren sich nicht für Politik so ist das eine sehr dumme Haltung. Sie geben die Mitwirkung in der Gesellschaft auf. Wichtig ist, dass man sich selber findet und sich auch selbst mag, dann kann man vielleicht weitermachen mit den anderen.

Und haben Sie sich gefunden?

Ich bin mir selbst noch nicht verloren gegangen. Nach so vielen Jahren ist es nicht mehr meine alltägliche Überlegung. Es geht um ganz einfache Zusammenhänge jeden Tag. Nicht mehr ums Große und Ganze. Ich wollte einmal das deutsche und amerikanische Kaiserreich gründen. Weil Amerika Sieger war nach dem Krieg und da ich in Deutschland lebte, wollte ich Amerika einbinden. Ich war natürlich der Kaiser (lacht).

Sie haben vor vielen Jahren bei „Hamlet“-Proben in Hamburg von Hans Neuenfels die Zusammenarbeit abgelehnt und sind abgereist.

Er war ein außerordentlicher Freund, ein Lebensmensch, trotzdem hat es nicht gut funktioniert. Ich habe gesagt, wenn wir „Hamlet“ machen, bin ich der Prinz, wenn es geht. Wir sind dann aber nicht zusammengekommen. Boy Gobert war krank und konnte als Direktor nicht vermitteln. Aber Neuenfels und ich, wir sind Freunde geblieben. Vor Kurzem haben wir ihn in dem Ort, in dem ich geboren bin, in Altaussee, im Kreise seiner Familie begraben, so wie er es sich gewünscht hat.

„Ich liebe das Theater sehr und die Zuschauer noch mehr.“

Haben Sie viele Rollen abgelehnt?

Ja, ich kann nur das machen, wo ich mich wiederfinde, wo ich mich sehe. Ich hatte großartige Möglichkeiten, die ich selber spürte, aber manchmal habe ich gedacht, ach, das mache ich doch nicht. Manchmal nach einem Gespräch, manchmal auch erst nach drei Proben. Da gibt’s nur ehrlich sein. Trotzdem habe ich ja sehr viel gespielt. Ich bin kein Ablehner. Ich tue das nämlich wirklich gerne. Ich liebe das Theater sehr und die Zuschauer noch mehr, denn ohne die geht es nun wirklich gar nicht.

Klaus Maria Brandauer und Meryl Streep in „Jenseits von Afrika“.
Klaus Maria Brandauer und Meryl Streep in „Jenseits von Afrika“. © Picture Alliance | United Archives / kpa Publicity

Sie haben es nach Hollywood geschafft als einer der wenigen österreichischen Schauspieler (u. a. mit James-Bond-Film „Sag niemals nie“, 1983, „Jenseits von Afrika“, 1985). Den Bond-Film haben Sie mal als Operette bezeichnet. Warum?

In den 1930er- und 1940er-Jahren gab es einige Schauspieler aus Österreich und auch aus Ungarn dort. Da war ich nicht der Einzige. Ich hatte großes Glück und das hat eine Riesenfreude gemacht. Ich sage nicht, wie viele Filme ich nicht gemacht habe. Und der Bond, was soll das sonst sein als eine Operette? Ich kann auch sagen, das sind kalte Kriegsfilme gewesen. Dazu waren sie da. Im Osten ist der Teufel, hieß es. Da nehmen wir deutsche Leute, die den Bösen spielen – es kann auch mal ein Österreicher sein. Es ist ein Spiel! Übrigens ein ausgezeichnetes. Auch vom Text her. Das ist fabelhaft! Ich schau mir das gerne an. Den Bond, den ich gemacht habe, allerdings am wenigsten.

Was ich aber nicht kann, ist, es überernst zu nehmen. Es bleibt – ein Spiel.

Wie denken Sie heute über „Jenseits von Afrika?“. Sie haben einmal gesagt, wir brauchen die Unterhaltung fürs Herz aber auch fürs Hirn. Ist das ein Film, den Sie sich noch immer gerne anschauen?

Zuerst hat meine Mutter gesagt, den spielst du nicht. Der ist böse zu seiner Frau und dreht ihr eine Krankheit an. Und um ein Haar wäre es dabei geblieben, wenn es nicht Leute gegeben hätte, die gesagt hätten, du bist verrückt. Und dann habe ich das gespielt und gedacht, ich brauche einen Hut. Ich habe ja nicht nur den Ehemann Baron Bror von Blixen gespielt, sondern auch seinen Zwillingsbruder. Mit einem Steirerhut aus Altaussee. Ich empfinde das wirklich als ganz tolle Möglichkeit zu leben. Was ich aber nicht kann, ist, es überernst zu nehmen. Es bleibt – ein Spiel.

Sie haben am Max Reinhardt Seminar Schülerinnen und Schüler unterrichtet wie Johanna Wokalek, Birgit Minichmayr oder Philipp Hochmair, der einmal sagt, Sie wären der schlechteste Pädagoge aber der beste Lehrer gewesen.

Ich hatte einen großen Verlust in meinem Leben und der damalige Direktor des Max Reinhardt Seminars, ein Freund von mir, sagte, komm, mach etwas für die Kinder. Und das habe ich dann sehr gerne gemacht. So einen Unsinn über Pädagogik habe ich schon lange nicht mehr gehört. Aber da es meine tollen Kinder sind, wird es schon stimmen. Ich habe sie so genommen, wie ihre Möglichkeiten waren und das habe ich mir auch umgekehrt gewünscht.

„Das Theater ist unterwegs wie immer und das ist auch gut so.“

Stimmt der Satz von Max Reinhardt auch heute noch für Sie: Nicht Verstellung, sondern Enthüllung ist die Aufgabe der Schauspielkunst, der Rest ist Tagesform?

Nein. Aber der Reinhardt hat viele gute Sprüche gehabt, jemand der Schauspielerei macht, ist jemand, der seine Kindheit in die Tasche gesteckt hat, um bis an sein Lebensende weiterzuspielen. Der Satz gefällt mir besser.

Welchen Rat würden Sie jungen Schauspielerinnen und Schauspielern heute geben?

Sich selber mitzubringen. Und immer wieder zu schauen, warum sie das machen möchten. Inszenierungen anschauen.

Die Theater verändern sich gerade, Besetzungen und Stoffe werden diverser – wie auch das Publikum. Es wird viel über den „alten weißen Mann“ gesprochen. Wie sehen Sie das?

Das Theater ist unterwegs wie immer und das ist auch gut so. Es kommen neue Einsichten. Ich bin sehr dafür, dass das aus dem Haus kommt, aus der Familie heraus. Wenn es nur kommt, weil es gerade in Mode ist, taugt es nicht. Ich bin wahnsinnig froh, dass wir so viele Frauen haben, die Regisseurinnen sind, aber ich war es schon vor 50 Jahren. Im ganzen Leben geht es um Machtfragen, aber darum sollte es im Theater nicht gehen. Sondern darum, was können wir miteinander tun, um den Kuchen zu backen.

Klaus Maria Brandauer: „Es gibt Leute, die warten auf Rollen und spielen sie nie“

Haben Sie eine Lieblingsinszenierung bei der alles stimmte, Text, Rolle, Regie? Vielleicht König Lear, den Sie zuletzt gespielt haben?

Der Lear war eine sehr komplizierte Angelegenheit, weil das ein Atem beraubendes Stück ist, und wie jedes große Stück passt es in die Zeit, auch wenn es 400 Jahre früher geschrieben wurde und wird dadurch lebendig, dass wir es sind, die es spielen mit dem Wissen, das wir heute haben. Das war eine Rolle meines Lebens, aber das sind sie alle.

Sie haben 14 Jahre am Burgtheater auf den Hamlet gewartet. Auf welche Rolle warten Sie heute?

Der Hamlet wurde mir zugesichert. Und da sie jeder spielen wollte, kam sie lange nicht und so war ich ein betagter Hamlet. Ich habe sie gespielt und das war sehr fein. Es gibt Leute, die warten auf Rollen und spielen sie nie. Ich merke mir die Sachen, die mir versprochen werden.

„Mozart! Brandauer liest Mozart“ 7.6., 20 Uhr, Hauptkirche St. Michaelis, Englische Planke 1a, Karten ab 42,- im Vvk.; www.promoevent.de