Berlin/Hamburg. Über Jahrzehnte hinweg war Neuenfels wichtiger Teil der deutschen Theaterlandschaft – erst als Bürgerschreck, später als Altmeister.

Als der „Lohengrin“ von Hans Neuenfels 2015 Abschied von der Bayreuther Festspielbühne nahm, tobten die Besucher vor Begeisterung. Die bei der Premiere 2010 noch ausgebuhte Inszenierung bei den Richard-Wagner-Festspielen, mit dem Chor in putzig-bedrohlichen Rattenkostümen, hatte da längst Kultstatus erreicht.

Wieder einmal hatte der einstige Bürgerschreck, längst zum Altmeister gereift, das Publikum auf seine Seite gebracht. Am Sonntagabend ist Hans Neuenfels, einer der großen und prägenden Regisseure des deutschen Theaters, im Alter von 80 Jahren in Berlin gestorben, wie seine Familie am Montag über den Berliner Anwalt Peter Raue mitteilte.

Hans Neuenfels "inspirierte ganze Generationen"

Als Regisseur von Schauspiel und Oper, als Dichter, Schriftsteller und Filmemacher treibe er „die zeitgenössische Weiterentwicklung der darstellenden Künste vehement voran“, hieß es 2016, als Neuenfels den Theaterpreis „Der Faust“ für sein Lebenswerk erhielt. „Mit seinem Wirken inspiriert er ganze Generationen von Schauspielern, Sängern und Regisseuren.“

Neuenfels sei einer der Protagonisten des gesellschaftlichen und ästhetischen Aufbruchs der Theater nach 1968, immer wieder habe er sich für Uraufführungen und zeitgenössische Werke eingesetzt. „Aber auch traditionelle Werke interpretiert er mit oft schmerzhaftem Nachdruck und entsprechend großer und kontroverser öffentlicher Resonanz als szenische Chiffren für die akuten Themen der Zeit.“

Regisseur Neuenfels inszenierte in ganz Deutschland

Der am 31. Mai 1941 in Krefeld geborene Neuenfels studierte Regie am Max Reinhardt Seminar in Wien, wo er auch seine spätere Ehefrau Elisabeth Trissenaar kennenlernte, die häufig große Rollen in seinen Inszenierungen spielte. Der gemeinsame Sohn Benedict ist als Kameramann erfolgreich („Mahler auf der Couch“).

Neuenfels begann seine Laufbahn als Regisseur am Wiener Theater am Naschmarkt. Im Laufe seiner jahrzehntelangen Karriere inszenierte er unter anderem am Schauspiel Frankfurt, in Stuttgart, Hamburg, Berlin, München, Zürich und Wien. Von 1986 bis 1990 war er Intendant der Freien Volksbühne Berlin. Neuenfels drehte auch Filme, etwa über Heinrich von Kleist oder Jean Genet, und war ein leidenschaftlicher Autor: 2011 erschienen seine Memoiren mit dem Titel „Das Bastardbuch - Autobiografische Stationen“.

In Hamburg inszenierte Neuenfels Beethovens "Fidelio"

Die größte öffentliche Aufmerksamkeit galt aber Neuenfels’ Arbeiten am Musiktheater. Dreimal wurde er zum „Opernregisseur des Jahres“ gewählt. Sein Regiedebüt an der Oper hatte er 1974 mit Giuseppe Verdis „Troubadour“ in Nürnberg gegeben. Mit Verdis „Aida“ ließ er 1980 in Frankfurt einen Theaterskandal folgen: Seine Aida trat dort als Böden schrubbende Putzfrau auf. Skandal auch 2001 bei den Festspielen in Salzburg: In der letzten Saison des umstrittenen Festspielchefs Gerard Mortier zerlegte Neuenfels die „Fledermaus“ von Johann Strauß, ließ den Prinzen Orlofsky Kokain statt Champagner konsumieren und eine Sadomaso-Orgie feiern.

An der Hamburger Staatsoper hatte Neuenfels in der Spielzeit 2003/04 Ludwig van Beethovens „Fidelio“ inszeniert. Ihm gelinge bei seiner Inszenierung das Kunststück, „aus den drei strukturell so unterschiedlichen Teilstücken dieser Oper eine stimmige Einheit werden zu lassen, ein Amalgam aus Hintersinn, Ironie und Ernst“, war nach der Premiere im Abendblatt zu lesen. „Mit großer Betroffenheit haben wir vom Tod des Regisseurs Hans Neuenfels erfahren“, erklärt Staatsopern-Intendant Georges Delnon. Neuenfels sei ein ebenso sinnlicher, wie kluger und musikalischer Regisseur gewesen. „Ein Regie-Talent, das über Jahrzehnte prägend für die Bühnen der Gegenwart war. Wir werden sein Andenken in Würde halten.“

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Und auch am Kulturskandal des Jahres 2006 war Neuenfels beteiligt: Die Absetzung seiner Inszenierung der Mozart-Oper „Idomeneo“ an der Deutschen Oper in Berlin sorgte für weltweite Schlagzeilen. Knackpunkt war die Szene, in der König Idomeneo die abgeschlagenen Häupter von Buddha, Mohammed, Jesus und Poseidon auf vier Stühle legt. Wegen angeblicher islamistischer Bedrohungen wurde die Inszenierung vom Spielplan genommen.