Der Rhythmus reißt mit: Ein Akkordeonist und ein Saxofonist begeistern das Publikum bei ihrem Konzert in Hamburg. Ihr Sound? Visionär.
Im Jazz gibt es bekanntlich Puristen, denen es um einen zwingend reinen Stil geht. Und dann gibt es die Eklektiker, die es schätzen, furchtlos Charakteristika zu kreuzen. Zwei französische Musiker von der visionären, experimentierfreudigen Sorte gab es jetzt in der Laeiszhalle zu erleben.
Die Musik, die der Akkordeonist Vincent Peirani und der Saxofonist Émile Parisien spielen, könnten unterschiedlicher kaum sein. Doch wenn sich die beiden zusammentun, wie für das gemeinsame Album „Abrazo“ oder aktuell eine gemeinsame Konzerttournee, dann sprühen daraus magische Jazz-Funken. Beim Auftritt in der Laeiszhalle in der Reihe „Jazz Nights“ stehen Peirani und Parisien zunächst als Duo auf der Bühne.
Jazz-Konzert in der Laeiszhalle: Peirani und Parisien harmonieren miteinander
Peirani bedient das Akkordeon im Song „Temptation“ geradezu rhythmisch, während Parisien den warmen Klang seines Sopransaxofons darüberlegt. Mal gesanglich, mal der französischen Folklore verpflichtet, dann wieder in ekstatischen Free Jazz eruptierend und dabei lustig Kicks mit dem Fuß ausführend. Auch Peirani hebt ab und seinen – bloßen – Fuß an, wenn der Rhythmus ihn mitreißt. In einem Medley mit Melodien von Astor Piazzolla mit dem Titel „Deus Xango“ harmonieren die beiden ausgewiesenen Könner ihres Fachs aufs Allerfeinste.
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Doch eigentlich spielen sie sich gerade warm. Während sich Vincent Peirani vorübergehend zurückzieht, bittet Émile Parisien die Mitglieder seines Sextetts auf die Bühne, für ein paar Songs aus seinem aktuellen Werk „Louise“. Und da hat er eine ausgewiesene Allstar-Band versammelt. Theo Croker, dessen gerade erschienenes eigenes visionäres Album „Love Quantum“ ausdrücklich empfohlen sei, brilliert an der Trompete mit einem sehr feinen, lyrischen Spiel.
Émile Parisien in der Laeiszhalle: „Memento“ ist seiner Mutter gewidmet
Und der Pianist Roberto Negro steigert sich am Flügel von zarten Akkorden in eine furiose Ekstase hinein, bei der er irgendwann vom Schemel abhebt und mit beiden Unterarmen auf die Tasten donnert. In Sekundenschnelle werden die aberwitzigsten Improvisationen wieder eingefangen. Zum absoluten Höhepunkt gerät das episch ausufernde „Memento“, das Parisien seiner Mutter gewidmet hat und das die Qualitäten dieses Musikers und seiner fantastischen Band offenbart, nämlich waghalsig zwischen Bebop, Folklore, Neuer Musik und Free Jazz zu wandeln.
Nach der Pause übernimmt Vincent Peirani wieder mit den Weggefährten seines Trios, dem Gitarristen Federico Casagrande und dem Schlagzeuger Ziv Ravitz. Gemeinsam bringen sie Stücke aus dem Album „Jokers“ zu Gehör. Peirani kämpft zunächst mit einer störrischen Elektronik am Rechner, aber dann geht es mit wuchtigen Dub-Rhythmen und Elektronik-Klängen los. Von den Ahnen um den argentinischen Bandoneon-Spieler Astor Piazzolla hat sich der Musiker hier weitestgehend entfernt.
Jazz-Konzert in der Laeiszhalle: Leider ist der Saal nur halb gefüllt
Oft beginnen seine Songs mit einer scheinbar naiven Melodie, unter die er jedoch kurze Zeit später schon einen vertrackten Klangteppich mit weit abdriftenden Akkordeon-Improvisationen webt. Ziv Ravitz schiebt ein paar schleppende Drums darunter. Casagrande versieht den Klang mit ein paar flirrenden Gitarrenläufen. Das klingt mal nach Postrock, mal nach Pink Floyd und mitunter sogar nach Radiohead. Magisch.
Selten ist wohl innerhalb eines Konzertes eine derart große Stilvielfalt zu erleben. Schade nur, dass die Laeiszhalle gerade mal halb gefüllt war. Allerdings mit einem sehr zugewandten und am Ende restlos begeisterten Publikum.