Hamburg. Ab 2025/26 gehört die Regisseurin zum Leitungsteam des Thalia Theaters. Jetzt inszeniert sie dort Tschechows „Drei Schwestern“.

Die Regisseurin Anne Lenk und Hamburg verbindet eine längere Geschichte. Am Thalia in der Gaußstraße zeigte sie mit „Räuberhände“ 2013 eine ihrer ersten Inszenierungen. Die ist, zehn Jahre später, noch immer zu sehen. Weitere Arbeiten – meist Ur- und deutschsprachige Erstaufführungen – folgten, Ihren großen Durchbruch erlebte Anne Lenk aber am Deutschen Theater Berlin, wo sie mit Klassiker-Inszenierungen wie „Der Menschenfeind“ (Friedrich-Luft-Preis, Einladung zum Berliner Theatertreffen) zur allseits begehrten Regisseurin avancierte.

Nun kehrt sie mit der Inszenierung von Tschechows „Drei Schwestern“ ans Thalia Theater zurück. Ab der Spielzeit 2025/26 wird sie außerdem gemeinsam mit der dann in Hamburg startenden Intendantin Sonja Anders und der Dramaturgin Nora Khuon das neue Leitungsteam am Thalia Theater bilden. Gründe genug also für eine Begegnung mit einer sehr tiefenentspannten Regisseurin, die genau weiß, was sie will.

Hamburger Abendblatt: Wie ist es, ans Thalia Theater zurückzukehren, wo Sie frühe Inszenierungen gezeigt haben. „Winterreise“ zum Beispiel. Und wo „Räuberhände“ immer noch läuft?

Anne Lenk: Es ist wirklich schön. Ich habe gerne in Hamburg gearbeitet, weil ich die Stadt, das Theater und das Ensemble sehr mag. Ich habe viel ausprobiert und mir immer schwierige Stoffe vorgenommen. Dann habe ich Inszenierungen gemacht, die mir leichter gefallen sind in einer Stadt, Berlin, die schwieriger ist. Das Publikum in Hamburg hat ein fundiertes, belastbares Interesse und honoriert auch Versuche. Heute weiß ich, dass mir geschlossene Erzählweisen eher liegen. Ich mag auch in der Ästhetik eine Kunstwelt auf der Bühne. Mich interessiert, eine Geschichte zu erzählen, Verbindungen zu ziehen und zu erforschen: Was hat die Autoren damals bewegt? Meistens sind es ja Fragen, die wir bis heute nicht gelöst haben.

Thalia Theater: Anne Lenk beschäftigt sich stark mit dem Thema „Patriarchat“

Ähnlich wie in „Winterreise“ inszenieren Sie jetzt „Drei Schwestern“ mit einem Fokus auf drei Frauenleben. Was interessiert Sie daran?

Die Idee entstand aus der Pandemie heraus. Es geht um ein Lebensgefühl von Stillstand. Die Komödie hat etwas Leichtes, etwas Zugewandtes, wenngleich der Arzt Tschechow seine Figuren durchschaut und sie satirisch auf Abstand hält.

Wenn man das Stück heute erzählt, worauf warten die drei Schwestern?

Nach dem Tod des Vaters, eines Generals, hängen die drei Töchter und ein Sohn in dem Konstrukt einer extrem patriarchalen Welt fest. Der Sohn kann die an ihn gerichteten Erwartungen nicht erfüllen. Die Schwestern haben nicht gelernt, für sich zu denken und wirklich zu handeln, und warten auf ein Rezept. Tschechow beschreibt eine Gesellschaft im Umbruch. Also: Irgendwie wissen wir, dass das Patriarchat eine Sackgasse ist, aber gleichzeitig finden wir noch keinen Umgang damit. Es gibt ganz schön viele Baustellen.

Und was könnte dieser Sehnsuchtsort Moskau sein?

Die Vergangenheit. Die heile Welt. Wenn man an der Vergangenheit klebt, ist man oft blind für die Gegenwart. Natascha, die Frau des Bruders, ist hier die Einzige, die etwas anpackt, Dinge verändert. Ich liebe Tschechow sehr. Jede Figur ist toll und hat ihren Platz und ihre Widersprüche.

Sie inszenieren ja gerne starke Frauen. Célimène in Ihrer Inszenierung des „Menschenfeinds“ etwa, die auch in Hamburg gastierte. Oder „Maria Stuart“. Die Männer wirken dagegen immer etwas lächerlich. Hat in Ihrem Theater das Patriarchat ausgedient?

Ich arbeite mich daran ab. Das Patriarchat bietet viele lächerliche Herren. Aber hier liegt der Reiz nicht in den Stärken der Frauen. Die Sichtbarkeit der Orientierungslosen finde ich absolut wichtig, nicht alle können stark sein in dieser Welt.

Inzwischen haben Sie mehrere Einladungen zum Theatertreffen erhalten und gelten als Expertin für aufgefrischte Klassiker. Ist das eine Zuschreibung, die Ihnen gefällt?

Ich habe vor allem Freude an der Arbeit, wenn ich weiß, dass das, was ich erzählen will, lesbar wird. Klassiker sind Belege dafür, wie die Menschen vor 100 oder 200 Jahren gedacht haben. Im Theater teilen wir Raum und Zeit, gehen ein Stück gemeinsam durch die Geschichte. Ich finde es ganz schwer, nur aus der Gegenwart zu schöpfen. Ich glaube, dass die Probleme heute – auch die Geschlechtergerechtigkeit – schon immer ein Thema waren. Zum anderen reizt mich die Arbeit an einer Sprache, die nicht alltäglich ist. Ich fühle mich darin freier als Regisseurin.

Sie haben ja schon in der Ausbildung unterschiedliche Ästhetiken kennengelernt. Zunächst haben Sie Angewandte Theaterwissenschaft in Gießen studiert und anschließend klassische Theaterregie an der Otto-Falckenberg-Schule in München. Welche dieser Welten ist Ihnen näher?

Die Performance hat mich stark geprägt, aber als Macherin auf die klassische Theaterseite gebracht. Das Spannende bei der Performance ist ja, dass es keine klassische Regie braucht. Als Regisseurin behalte Ich den Blick von außen, versuche die Beteiligten zusammenzubringen, in einer Künstlichkeit, die die Handlung zuspitzt.

Thalia: „Traum eines Theaters nach unseren Vorstellungen haben wir vor Augen“

Wie sehen Sie die Debatte um Macht, Diversität und Strukturen am deutschsprachigen Stadttheater? Wie würden Sie das Theater der Zukunft denken?

Das Theater ist ja eine kleine Welt im Großen. Mich interessiert der Versuch, ein Umfeld zu schaffen, in dem die Leute gut arbeiten können. Das Theater braucht zur Erneuerung neue Blickwinkel, aus denen Geschichten erzählt werden. Es wäre schön, wenn sich nicht Macht, sondern Kunst durchsetzen würde.

Sie kommen mit der zukünftigen Intendantin Sonja Anders ja ab der Spielzeit 2025/26 als Oberspielleiterin ans Hamburger Thalia Theater. Gemeinsam mit der Dramaturgin Nora Khuon bilden Sie ein rein weibliches Leitungsteam. Was wollen Sie verändern?

Wir haben uns als Trio beworben, weil uns viel positive gemeinsame Erfahrung verbindet, aber das wird natürlich auch noch angereichert, durch andere Blickwinkel und Biografien. Den Traum eines Theaters nach unseren Vorstellungen haben wir vor Augen. Jetzt schauen wir, wie wir ihn realisieren können.

„Drei Schwestern“ Premiere Do 27.4., 19 Uhr, Thalia Theater, Alstertor, Karten unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de